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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Jungen mit ihrem wenigen Gepäck an der Haltestelle und warteten auf den Überlandbus.
     

Begegnungen
     
    Für die letzte Strecke ihrer Reise hatte Queenie sich zum erstenmal in ihrem Leben eine Flugkarte gekauft. Zwar hatte sie ursprünglich alles Geld des ›Interessenten‹ ihren Eltern bringen wollen, aber dann war sie der Versuchung erlegen und hatte einige Dollars abgezweigt. Sie hatte ihre Flugkarte schon von der Kunstschule aus vorbestellt und den Eltern geschrieben, daß sie einen Tag früher in New City eintreffen werde. Zur elterlichen Ranch ging zwar keine Post, aber Queenie hoffte, daß ihr Bruder Henry in diesen Tagen, in denen Post von ihr erwartet werden konnte, zur Agentursiedlung ritt und auf dem Postamt nachfragte.
    Nun saß sie in der Propellermaschine der Frontier-Airlines, die in ihrem Namen die Erinnerung daran bewahrten, daß die Orte, die sie anflogen, vor noch nicht langer Zeit Grenzgebiet zwischen Wildnis und Zivilisation gewesen waren und in blutigen Jahren zum Wilden Westen gerechnet hatten.
    Queenie hatte einen Fensterplatz. Tief unter ihr dehnte sich schon heimatliches Land, endlose Prärie unter dem Nachthimmel; nur hin und wieder erschienen für das Auge der Zaun einer Ranch, noch seltener eines der einsamen Häuser. Die Sandfurchen an den Präriehügeln, in denen im Frühling und nach Gewittern das Wasser herunterschoß, lagen ausgetrocknet und gaben dieser Prärie, die schon seit Tausenden und aber Tausenden von Jahren bestand, etwas Aufgerissenes, Bloßes und Wildes. Nur zweimal erkannte Queenie Gruppen schwarzer Punkte, das war schwarzes Vieh, und es waren Büffel, die wieder gezüchtet wurden, weil sie die Unbilden von Witterung, Sturm, Schnee, Hitze am besten überstanden, das karge harte Gras, wenn nicht mit Lust so doch ohne Widerwillen weideten und neben dem Fleisch das wertvolle Fell lieferten.
    Queenie schloß die Augen, und für einen flüchtigen Augenblick wurde sie ganz Tashina. Sie träumte davon, wie Hunderttausende von Büffeln über die Hügel und Täler gezogen waren und Tausende von braunhäutigen Jägern das heilige Tier erlegt hatten, um Nahrung, Kleidung, Zelte zu gewinnen. Dann waren die Watschitschun gekommen, diese Geister in Menschengestalt, die sich Weiße nannten, und sie hatten mehr Wild erlegt, als sie brauchten. Mit ihren Repetiergewehren hatten sie die Büffelherden nicht gejagt, sie hatten gemetzelt. Tashinas Großväter hatten um ihr Land gekämpft, aber sie waren besiegt worden. Die weißen Männer hatten die Prärie, die Wälder, Berge und Flüsse geraubt. Sie hatten New City gebaut und der Erde das Gold aus dem Leibe gerissen. Die großen Häuptlinge waren gefallen, ermordet, gestorben, und von manchen kannten ihre Kinder und Kindeskinder nicht einmal das Grab. Die Nachkommen lebten nun auf dürrem Land, das man ihnen als Reservation übriggelassen und das man immer wieder beschnitten hatte. In allem mußten sie den weißen Männern, dem Superintendent und seinen Beamten, gehorchen; für jeden Schritt brauchten sie die Erlaubnis und das Geld der weißen Männer; arm waren sie trotz aller Renten und verbrieften Verträge, und sie wurden gehalten wie Unmündige.
    Auf Geheiß der weißen Männer aber besuchte Queenie die Kunstschule für Indianer. Sie wollte nicht undankbar sein, denn sie genoß dort fern der Reservation eine gute Ausbildung und ein gutes Leben. Aber sie wollte eine Indianerin bleiben, wie der Sprecher der Schüler beim Baccalaureat gesagt hatte, und sie wollte einmal denen helfen, die darbten.
    Queenie wurde wieder wach.
    Ein heller rötlicher Schimmer spielte durch ihre Lider, und als sie die Augen öffnete, sah sie unter sich die Prärie in dem Leuchten der hervorkommenden Sonne und in Richtung des Fluges schon die waldigen Berge, an deren Fuß die Gründer von New City sich vor einem Jahrhundert angesiedelt hatten. Autos fuhren, für den Blick von oben so klein wie Spielzeug, Schornsteine rauchten, Scheiben blitzten, Dächer zeigten ihre Konturen mit Licht und Schatten.
    Queenie hatte den Riemen umzunehmen, das Flugzeug setzte zur Landung an. Noch schwirrten die Propeller, das Flugzeug setzte auf und rollte aus. Es hielt.
    Queenie hatte nicht gewußt, daß der Flug trotz einer Tornadowarnung vor sich gegangen war. Sie ahnte nicht, wie der Pilot jetzt aufatmete. Sie bedauerte nur ein wenig, daß der Flug schon zu Ende war. Als letzte der sieben Passagiere stieg sie aus, das Köfferchen in der Hand. Ihr Geld hatte sie in einem
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