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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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trinken. Wer hatte es gewagt, an Henry auszuschenken?
    Am offenen Fenster der Wagentür erschien ein dunkles Gesicht über einem blau-rot karierten offenen Kragen.
    »Laß mich ans Steuer, Queenie, ich fahre dich.«
    Um die Mundwinkel spielte ein Zug, vor dem Queenie graute. Sie drängte den Körper des Bruders blitzschnell beiseite, ließ den Motor an, gab Gas, fuhr rückwärts und dann voran, was der Motor hergab. In der Morgenfrühe waren die Straßen noch leer.
    Der ungebetene Gast am Wagenfenster hatte beiseite springen müssen, um nicht überfahren zu werden. Das war ihm nicht schwergefallen. Er war ein Bursche, der schnell zu reagieren verstand.
    Queenie bog um zwei Straßenecken und horchte, ob sie von einem anderen Wagen verfolgt wurde.
    Nein, es kam ihr niemand nach.
    Sie ging auf dreißig Meilen zurück.
    Das Mädchen versuchte zu überlegen. Wenn irgendein Polizeibeamter bemerkte, daß ihr Bruder betrunken war, kam Henry ins Gefängnis. Indianer aus der Reservation wurden für Trunkenheit schwer bestraft. Sie hielt an einer unbeobachteten Stelle und schob Henry, der nicht aufwachte, auf ihren bisherigen Platz, so daß sie nun Raum für sich am Steuer hatte.
    Das ging alles schnell. Aber nun rührte Henry sich auf einmal – und es bestand die Gefahr, daß er halbwach in seinem Zustand zu randalieren begann. Es war sein erster Rausch, und Queenie wußte vom Hörensagen, was ein Betrunkener anrichten konnte. Der Weg zur Reservation war noch weit.
    Sie gewann eine Ausfallstraße und hielt auf die Vorstadt zu, wo die Slums der indianischen Kolonie lagen. Dort kannte sie einen jungen Priester, und diesen wollte sie um Rat fragen.
    In den kleinen Hütten, wo die kinderreichen Familien wohnten, und ringsumher war in der Morgenfrühe schon Leben.
    Die Frauen waren mit Eimern unterwegs, manche mit dem Wagen und Fässern, um von dem weit entfernten Brunnen Wasser zu holen. Die Leitung war nicht bis zu der Siedlung gelegt. Queenie hielt bei einer der Hütten. Die Kinder schauten neugierig und zugleich scheu auf sie, aber da Queenie eine Indianerin war und mit den Mädchen und Buben in ihrer Muttersprache sprechen konnte, erfuhr sie bald, was sie wissen wollte. Der junge Priester und seine Frau waren zum Brunnen gefahren. Sie mußten aber bald wieder zurück sein.
    Queenie brach der Schweiß aus, während sie wartete. Es war am frühen Morgen schon heiß, doch das war es nicht, was sie störte. Sie hatte Angst, einfach Angst. Der Alkoholgeruch, den der Körper des Bruders ausströmte, quälte sie.
    Elk, so hieß der Gesuchte, kam bald zurück, doch dem Mädchen war die Wartezeit wie eine böse Ewigkeit erschienen. Er begriff sofort, was hier zu tun war, brachte Henry in sein Haus und bat Queenie, ebenfalls einzutreten. Sie verschloß den Wagen und steckte den Schlüssel ein, eine ungewöhnliche Vorsichtsmaßnahme.
    Sie setzte sich mit der Frau in der kleinen Hütte auf die Bettstatt, die zugleich die einzige Sitzgelegenheit bot, und berichtete alles, was sie erlebt hatte und vermutete. Elk stand in seinen abgetragenen Arbeitskleidern vor den Frauen. Den Betrunkenen hatte er einfach auf den Bretterboden gelegt.
    Queenie beschrieb noch einmal genau die drei verdächtigen Gestalten. »Ich glaube«, schloß sie, »daß sie Henry umgarnt und betrunken gemacht haben, und nun warteten sie auf mich. Wahrscheinlich hat Henry ihnen von mir erzählt. Vielleicht hat er ihnen auch gesagt, daß ich viel Geld nach Hause bringen würde.«
    »Es sind üble Burschen«, Elk sprach langsam und war bemüht, seine große Besorgnis nicht in seiner Stimme spürbar werden zu lassen. »Die Kumpane von Stonehorn.«
    Queenie senkte den Kopf und schaute zu Boden. Aber sie fühlte dabei, wie Elk sie von der Seite beobachtete, und sie senkte den Kopf noch tiefer, als ob sie einen Streich in den Nacken entgegennehmen müsse und doch alle ihre Empfindungen verbergen wollte.
    »Er war hier«, sagte Elk.
    Queenie fuhr auf. Sie hatte vergessen, daß sie sich beherrschen wollte.
    »Sie hätten ihn nicht hinauswerfen sollen, damals. Jetzt ist alles schwer – verzweifelt schwer.«
    Queenie starrte Elk an.
    »Er hat nach dir gefragt.«
    Queenie sagte nichts. Aber sie dürstete danach, daß Elk mehr berichten werde.
    Elk sah das glühende Gesicht. »Liebst du ihn, Queenie? Du warst damals, als er gehen mußte, noch ein Kind – fast – ja, fast – noch – ein Kind. Seine Kumpane heute sind üble Burschen.«
    Elk wiederholte die letzten Worte mit einer
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