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Nacht ohne Schatten

Nacht ohne Schatten

Titel: Nacht ohne Schatten
Autoren: Gisa Klönne
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seiner Jeans notdürftig sauber und rührt Zucker in seine Tasse. »Ich glaub, ich hatte grad ’ne Erscheinung. Da draußen steht ’ne Eskimofrau.«
    Â»Inuit«, sagt die Krieger und gähnt. »Hä?«
    Â»So lautet die politisch korrekte Bezeichnung.«
    Â»Eskimo heißt Rohfleischesser, das hören die nicht so gern.« Karl-Heinz Müller zündet eine Davidoff an der Glut ihrer Vorgängerin an. »Trug die Frau eine Kaninchenfellmütze?«
    Â»Yep.« Manni versucht, an den Fenstergriff zu gelangen, ohne die statisch höchst gewagte Aktenstapelkonstruktion auf dem Schreibtisch des Rechtsmediziners zu berühren. Keine Chance. Resigniert stellt er seine Bemühungen um Frischluftzufuhr wieder ein.
    Müller grinst, offenbar zufrieden mit Mannis Einsichtigkeit. »Es handelt sich um meine neue Kollegin. Dr. Ekaterina Petrowa aus Russland. Ein großes Talent.«
    Groß ist übertrieben, unten im Obduktionskeller geht das russische Talent Manni gerade mal bis zur Brust, aber im grünen Ornat sieht die Russin immerhin manierlicher aus als in Violett und Pelz. Und mit Skalpell und Messer kann sie auch umgehen, wie sie augenblicklich beweist, als die langwierige äußere Besichtigung und akribische Beschreibung des bekleideten Leichnams abgeschlossen ist.
    Manni atmet erleichtert auf, als die Knochensäge des Präparators endlich ihr nervtötendes Sirren einstellt. Eine Obduktion ist per se niemals appetitlich, aber die Schädelöffnung ist aus seiner Sicht jedes Mal wieder der Tiefpunkt.
    Â»Judith hat bei unserer Weihnachtstombola übrigens das große Los gezogen«, sagt er zu Karl-Heinz Müller, um sich davon abzulenken, wie der Präparator das Gehirn entnimmt, wiegt und unter den Argusaugen der Russin millimeterdünne Scheibchen davon absäbelt und in Formalin gibt. Außerdem ärgert es ihn immer noch, dass er nicht selbst gewonnen hat.
    Â»Tatsächlich?«, fragt der Rechtsmediziner im selben Moment, als die Krieger »Das ist doch nun echt nicht wichtig« zischt.
    Die Russin räuspert sich, ohne die Nase vom Rücken des Toten zu heben. Offenbar ist sie nicht sehr angetan von jeglicher fachfremden Konversation.
    Â»Elf Einstiche, das entspricht dem äußeren Erscheinungsbild«, verkündet sie in die entstehende Stille. Ihr Deutsch ist beinahe akzentfrei, nur ein minimaler slawischer Zungenschlag verrät bei sehr genauem Hinhören ihre Herkunft. Sie hebt den rechten Arm des Toten, tappt in ihren grünen Gummiclogs um den Obduktionstisch herum, wiederholt das Prozedere auf der anderen Seite. »Ich erkenne immer noch keine Abwehrverletzungen«, sagt sie.
    Â»War er sofort tot?«, fragt die Krieger.
    Unentschlossen wiegt die Petrowa den Kopf, macht sich dann wieder an den Wunden zu schaffen. Diktiert ihre Beschreibungen ins Mikrofon, das über dem Obduktionstischbaumelt. Spreizt mit einer Pinzette die Wundränder und schiebt einen Messstab hinein.
    Â»Zwei Stiche sind ins Herz gegangen, fünf weitere haben die Lungen punktiert«, sagt sie schließlich. »Ich kann nicht sagen, welcher der Stiche ihm zuerst zugefügt wurde.«
    Irgendwann in dieser Nacht, während er mit den Spurensicherern im Müll rumwühlte, hat Manni plötzlich geglaubt, jemand beobachte ihn. Er hat den anderen nichts gesagt, weil absolut niemand zu sehen war, aber ein unangenehmes Gefühl von Verletzlichkeit ist geblieben. Hätte er bemerkt, wenn sich jemand bis dicht an ihn herangeschlichen hätte? Wäre er schnell genug gewesen, sich zu wehren? Wie viel Zeit hat man dafür, mit einem Messer im Rücken? Hat man überhaupt eine Chance? Wieder spreizt die Russin Wundränder auseinander, späht in die dunkel verkrustete Höhle.
    Â»Das reinste Gemetzel.« Judith Krieger betrachtet die bräunlichen Stichwunden auf dem käsigen, teils dunkel behaarten Rücken mit Widerwillen.
    Â»Ein Profi tötet anders«, bestätigt die Petrowa. »Effektiver.« Ihre Kohleaugen glühen.
    Â»Was wissen wir über die Tatwaffe?«
    Die Petrowa beugt sich tiefer über den Leichnam. Sie wechselt einen schnellen Blick mit Karl-Heinz Müller, bevor sie Judith Krieger antwortet.
    Â»Einschneidig. Scharf.«
    Â»Vermutlich ist die Klinge glatt.« Auch Karl-Heinz Müller hängt jetzt so dicht über dem Opfer, dass sein Mundschutz beinahe dessen Haut berührt. »Der
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