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Nacht ohne Schatten

Nacht ohne Schatten

Titel: Nacht ohne Schatten
Autoren: Gisa Klönne
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latexbehandschuhten Hände fingern routiniert durch Schubladen und Schränke.
    Â»Vielleicht reichte ihm sein Handy.«
    Â»Und wo ist das?«
    Entnervt sehen sie sich an. Die Jacke. Der Rucksack. Immer wieder läuft es darauf hinaus. Sie teilen sich auf, während sie auf die Ankunft der Spurensicherung warten. Manni übernimmt das Schlafzimmer, Judith den Wohnraum. Wie hat Berger gelebt? Wofür hat er sich interessiert, von nackten Frauen einmal abgesehen? Wer könnte ihn so sehr gehasst haben, dass er ihn ermordete? Die Wohnung verrät es nicht, alles in ihr erscheint unpersönlich.
    Der Vibrationsalarm seines Handys enthebt Manni weiterer Grübeleien.
    Â»Ich habe für morgen Mittag Sauerbraten eingelegt! Den isst du doch so gern.«
    Â»Tut mir leid, Ma, ich hab einen Fall.«
    Er wimmelt seine Mutter ab, versucht, sich deswegen nicht wie ein Schwein zu fühlen. Judith Krieger steht mit einem Packen Rechnungen in der Hand im Wohnzimmer und schaut den staubblinden Fernseher an. Ganz still, ganz konzentriert, als warte sie auf etwas, nein, als bereite sie sich auf einen Zweikampf vor. Kriegerin. Irgendetwas an ihrem Gesichtsausdruck verunsichert Manni.
    Â»Der war ganz schön allein«, sagt sie leise, als sie auf ihn aufmerksam wird.
    Ja, verdammt, wer ist das nicht, denkt er.
    * * *
    Theodora Markus kommt an diesem Samstag erst am Nachmittag in ihr Atelier, zu spät, um noch wirklich etwas zu schaffen, und das macht ihre Laune nicht besser. Stundenlang musste sie in ihrer Wohnung herumwarten. Der Abfluss im Bad warwieder verstopft, die Waschmaschine pumpte nicht mehr ab, Theas Wäsche saß in einer düster-klebrigen Suppe fest, und der Klempner, ein Bekannter eines Bekannten, hatte zwar versprochen, gleich morgens da zu sein, doch dann wurde es trotzdem Mittag, bis er erschien. Das ist der Nachteil, wenn man auf Gefälligkeiten aus dem Freundeskreis angewiesen ist. Man kann nicht reklamieren oder stornieren, sondern muss sich in Demut üben, einer Tugend, die noch nie Theas Stärke war. Der Vorteil ist natürlich, dass die Schwarzarbeit bezahlbar ist. Thea hofft inständig, dass sich das leidige Badezimmerproblem damit erledigt hat.
    Mühselig kämpft sie sich die farbbeklecksten Steintreppen hinauf. Das Bein macht ihr zu schaffen, das feuchte Wetter. Sie hasst den Stock, aber heute braucht sie ihn, in ihrem Knie lodert Feuer, jede der Stufen ist eine Qual. In der oberen Etage der alten Fabrik lehnt sie sich einen Moment an die Wand. Unten sind ein paar Kollegen bei der Arbeit, aber hier oben ist alles still, und die Ateliers sind verschlossen, auch das von Theas Nachbarin Nada, was ungewöhnlich ist, denn Nada hat es geschafft, bei der Galerie Heuger und Berkewitz unter Vertrag zu kommen. Wie eine Besessene hat sie in den letzten Wochen gearbeitet, so überzeugt war sie von ihren Ideen. Ständig stand sie in Theas Atelier und redete, redete, redete, nahm sich wichtig wie immer.
    Thea nimmt die letzten Meter bis zu ihrem Atelier in Angriff. Sie öffnet die Eisentür und atmet scharf ein. Der Raum ist dämmrig und leer, aber das Gefühl einer fremden Präsenz ist übermächtig. Sieht sie jetzt auch noch Gespenster? Das hat ihr gerade noch gefehlt. Sie schaltet das Licht ein und lauscht. Aus den Nachbarateliers dringt kein Laut. Soll sie nachschauen, wer unten ist? Die Vorstellung, sich mit ihrem Knie nochmals über die Treppen zu quälen, ist wenig verlockend.
    Schwer auf ihren Gehstock gestützt, hinkt Thea durch ihr Atelier, wachsam wie eine Katze, die man unversehens in einer fremden Umgebung ausgesetzt hat. Aber hier in ihrem ganzpersönlichen Refugium ist ihr nichts fremd. Alles ist genau so, wie sie es am Vorabend zurückgelassen hat. Die Tonbecher im Spülstein, Teekanne, Topf und Wasserkocher. Die angebrochene Tüte H-Milch, die leeren Weinflaschen. Die rote Tulpe in der Steinvase auf dem Fenstersims. Die Hobelbank, das Treibholz, das sie am Rhein gesammelt und an der Wand zum Trocknen aufgestellt hat, die Holzvorräte und die Kästen mit den Schnitzmessern und Spachteln. Auch der Arbeitstisch in der Mitte des Raums wirkt unberührt. Maschendraht und Gips liegen darauf, die Materialien, aus denen sie versucht, einen Flügel zu kreieren. Einen Flügel, der nicht kitschig ist wie der eines Weihnachtsengels und auch nicht gegenständlich wie eine Vogelschwinge. Die Essenz eines Flügels versucht sie zu
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