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Nacht ohne Schatten

Nacht ohne Schatten

Titel: Nacht ohne Schatten
Autoren: Gisa Klönne
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aus. Die Kameraaufnahmen sind schwarzweiß, unscharf, das Innere der Waggons und die wenigen Fahrgäste wirken verzerrt, ihre Gesichter konturlos. Unten rechts ist eine Zeile mit Uhrzeit und Datum eingeblendet. Eine Registriernummer zeigt an, aus welchem Zugteil die Aufzeichnung stammt. Kameraprotokoll für Kameraprotokoll arbeiten sie sich vorwärts durch die Nachtfahrt der Linie S 5 von Leverkusen bis zum Wendepunkt Gewerbepark. Einstieg, Ausstieg.
    Hinsetzen. Aufstehen. Jugendliche mit Bierflaschen in der Hand und Gelfrisuren, die die Turnschuhe auf die Sitzpolster stemmen. Eine afrikanische Großfamilie, die ein kulleräugiges Kleinkind von Schoß zu Schoß hebt. Geschäftsleute. Zwei voluminöse Türkinnen mit Kopftuch. Niemand, der auch nur im Entferntesten wie ein Obdachloser im weiten Mantel aussieht. Ab dem Hauptbahnhof leert sich die S-Bahn zusehends. An den letzten beiden Stationen vor dem Wendepunkt steigt überhaupt niemand mehr ein. Wer nicht in der Nähe der Haltestelle Gewerbepark wohnt, hat nach Mitternacht keine Veranlassung, dorthin zu fahren.
    Â»Das war wohl nix.« Manni ist der Erste, der etwas sagt, nachdem das letzte Bild erloschen ist.
    Â»In zwei Waggons haben die Kameras nicht funktioniert«, widerspricht Klaus Munzinger. »Wir müssen auch noch überprüfen, ob es einen toten Winkel gibt, in dem jemand unbemerkt von den Kameras hätte ans Ziel kommen können.«
    Millstätt drückt auf den Lichtschalter, nimmt dann am Kopfende des Konferenztischs Platz. Wie scheue, nachtblinde Tiere bemühen sie sich, ihre Augen wieder an die Helligkeit zu gewöhnen.
    Â»Ihr solltet auch noch die Fahrten davor überprüfen«, sagt Judith schließlich. »Sicherheitshalber. Trotzdem glaube ich, dass Manni recht hat. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass der Täter mit der S-Bahn gekommen ist.«
    Â»Also, wie geht ihr vor?« Millstätts Schokoladenaugen betrachten Judith, abwägend, ohne seine Gedanken preiszugeben. Die Aufmerksamkeit der anderen ist beinahe physisch zu spüren.
    Judith wendet sich an die Spurensicherer. »Habt ihr in Bergers Wohnung ein Pendant zu den fremden Fingerabdrücken gefunden? Oder irgendetwas anderes, das auf die Identität des Täters hinweist?«
    Â»Keine Entsprechung bis jetzt, auch nicht in unserer Kartei«, antwortet Karin Munzinger. »Wir haben eine Vielzahlfremder Faserspuren auf Bergers Pullover, einige passen zu denen auf dem Fahrersitz, aber nicht alle. Es gibt eine Menge dunkler Wolle, doch das ist im Winter nicht weiter verwunderlich. Dann sind da noch die Säcke mit den Asservaten vom Bahndamm. Wir brauchen mehr Zeit.«
    Â»Macht einfach weiter, so schnell ihr könnt. Und wir anderen gehen morgen erst mal der Obdachlosenspur nach. Wir müssen bei Suppenküchen und Heimen nachfragen. Gibt es diesen Mann mit halblangen Haaren, der einen weiten Mantel trägt? Taucht irgendwo im Milieu ein Bahn-Anorak auf oder Bergers Rucksack? Sobald wir die fremden Fingerabdrücke von Bergers Schuhen zuordnen können, sind wir einen großen Schritt weiter.«
    Â»Vielleicht gibt es in der Nähe des Tatorts einen Unterschlupf, den Obdachlose benutzen«, sagt Manni. »Oder in diesem Schrebergartengelände.«
    Â»Gut, Manni, kümmere dich darum.« Millstätt steht auf. »Und du, Judith, koordinierst vorläufig das weitere Vorgehen und hältst mit mir Kontakt.«
    Heißt das, dass ich die Ermittlungen leite? Sie ist zu stolz, diese Frage zu stellen, oder einfach zu müde. Geht in ihr Büro und tippt den Bericht. Legt die Füße hoch, als sie damit fertig ist, betrachtet den Regen und denkt über Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten nach. Wenn der Täter ein Obdachloser ist, welches Motiv hat er? Haben alle, die sie bislang befragt haben, die Wahrheit gesagt? War wirklich keiner der Künstler zur Tatzeit im Atelier? Die Künstlerin Theodora Markus war erst ganz offen und dann reserviert. Das Handy ihrer Ateliernachbarin Nada verkündet ein ums andere Mal, dass Nada vorübergehend nicht erreichbar ist. Hatte Berger Kontakt zu den Künstlern? Sehr unwahrscheinlich, wenn man seine Wanddekorationen bedenkt. Wer hat ihn getötet, wenn nicht jemand, der ihm nahestand?
    Erst als Judith zu Hause ist, kommt die Erinnerung an ihren Traum zurück, die rätselhafte Botschaft, die aus welchemGrund auch immer nun noch bedrohlicher wirkt
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