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Nacht ohne Schatten

Nacht ohne Schatten

Titel: Nacht ohne Schatten
Autoren: Gisa Klönne
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vom 6 . auf den 7 . Januar nicht die ganze Zeit hier?«
    Marlene Noldens Augen weiten sich, sie springt auf, schreit, aber bevor Judith begreift, ist es zu spät. Ein Schlag wirft sie nach vorn, ihr Kopf knallt auf den Couchtisch. Dann nichts mehr. Schwärze.
    Als sie wieder zu sich kommt, hört sie leises Stöhnen. Ihr eigenes? Sie weiß es nicht, sie liegt auf dem Boden, kann sich nicht bewegen, der Schmerz ist zu groß. Mühsam versuchtsie sich zu orientieren. Wie lange war sie bewusstlos? Was ist passiert? Sie hört Schritte, wieder dieses Stöhnen, dann plötzlich Queens
Spread your Wings,
blechern, distanziert. Ihr Handy. Manni. Warum erst jetzt? Der Schmerz ist überall, in ihrem Kopf, in ihrem Rücken. Ihr linker Arm gehorcht ihr nicht mehr. Ihr rechter Arm ist unter ihrem Körper begraben. Mühsam zieht sie ihn hervor, tastet nach ihrer Handtasche. Sie liegt neben ihr auf dem Parkett. Judith öffnet die Augen. Das Handy ist herausgefallen. Ein blank polierter schwarzer Herrenschuh tritt darauf, fegt die Trümmer und Splitter zur Seite. Tötet Queen, die Hoffnung auf Rettung. Der Schuh kommt näher, landet mit voller Wucht auf Judiths Unterarm, nagelt sie fest. Ein Fußtritt in ihren Bauch jagt eine neue Welle Schmerz durch ihren Körper. Sie beginnt zu würgen, versucht den Kopf zur Seite zu drehen, damit sie nicht erstickt. Noch ein Tritt, diesmal gegen ihre Brust. Jetzt weiß sie es sicher, das Stöhnen ist ihres. Der Schmerz brennt. Gleißend. Etwas zerbricht. Beim nächsten Fußtritt driftet sie wieder weg.
    Schmerz weckt sie auf, jemand schleift sie über den Boden. Judith öffnet die Augen, erkennt Marlene Nolden, seltsam verdreht und schlaff auf dem Parkett liegend, wie eine weggeworfene Puppe.
    Â»Meine Kollegen kommen …« Es ist mehr ein Gurgeln als ein verständlicher Satz, Blut und Erbrochenes verkleben Judiths Mund.
    Â»Du bist allein hier.« Alexander Nolden hat sie offenbar trotzdem verstanden. Er reißt hart an Judiths Haaren, zerrt sie weiter über den Boden. »Allein, ohne Waffe, ohne Kollegen, in deiner Ente.«
    Was hat er mit ihr vor? Sie muss bei Bewusstsein bleiben, ihn zum Reden bringen, Zeit gewinnen, die Panik in Schach halten. Sie versucht, ihren Mund freizubekommen.
    Â»Sie kommen damit nicht durch.«
    Nolden lacht, schleift sie in den Flur. »Meine Frau ist psychisch krank. Sie hat sich selbst gerichtet und Sie dabei mitgenommen. Erweiterter Freitod.« Er öffnet eine Tür, zieht den Schlüssel ab, stößt Judith in ein winziges Gäste-WC. »Sehr bedauerlich, wirklich. Und dann zündet sie auch noch meine Villa an.«
    Â»Oh, bitte nicht!« Hat sie das gedacht, geflüstert, geschrien? Es ist egal, die WC-Tür knallt zu, wird verschlossen, Noldens Schritte entfernen sich.
    Panik. Rot glühend, überwältigend, stärker sogar als der Schmerz. Bilder stürmen auf Judith ein. Das Feuer in der Pizzeria, das sich auf den gefesselten Baldi zufrisst. Der Fallschirmsprung, den sie nun niemals machen wird, wirkt dagegen so harmlos, dass sie sich beinahe danach sehnt. Hört sie schon Flammen, riecht schon den Rauch? Sie muss hier raus, augenblicklich, sofort, aber es tut so weh, sie kommt einfach nicht hoch.
    Ãœbelkeit, schon wieder. Judith dreht den Kopf zur Seite, erbricht sich erneut, fühlt etwas Warmes, Nasses an ihren Hosenbeinen – Urin oder Blut. Jeder Zentimeter ist Schmerz, aber sie gibt nicht auf, bis sie nach einer kleinen Ewigkeit endlich aufrecht sitzt. Fahles Laternenlicht fällt durch das WC-Fenster, zeigt überdeutlich die Konturen eines schmiedeeisernen Gitters.
    Sie ist verloren, eingesperrt in ein gefliestes Gefängnis, sie wird verbrennen. Der Reihe nach denkt sie an Manni, Cora, ihren Bruder Edgar. Sehnt sich absurderweise nach Gero Sanders. Verpasste Chancen. Sie hätte mit Sanders essen gehen sollen, ach was, ins Bett. Wie einen Nachruf glaubt sie Laura Veirs Sirenengesang zu hören. Abgründe, grün und salzig. Hungrige Würmer. Schwarzes Nichts. Aber all das ist immer noch besser als ein Tod im Feuer.
    Es kann nicht sein, darf nicht sein, sie will doch leben. Denk nach, Judith, komm schon, gib nicht auf. Du brauchst eine Waffe, ein Werkzeug, du musst dich retten. Sie kämpft die Übelkeit nieder, sieht sich um. Handtücher, Seife, Klobürste, Klopapier, Vase, Handcreme – das WC ist so leer.
    Sie
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