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Nacht ohne Erbarmen

Nacht ohne Erbarmen

Titel: Nacht ohne Erbarmen
Autoren: Jack Higgins
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der es irgendwie fertiggebracht hatte, diese Tatsache vor dem Gericht zu verheimlichen.
      Im vergangenen Juli hatte ich von Kreta aus ein Motorboot mit Goldbarren für einen Herrn aus Kairo herübergebracht, der mich am Strand bei Ras-el-Kanays erwarten sollte. Diese Lieferung gehörte zu einem komplizierten Tauschgeschäft, an dem irgend jemand irgendwo einmal ein Vermögen verdienen sollte. Ich bin nie so recht dahintergekommen, was eigentlich schiefging, jedenfalls tauchten im ungünstigsten Augenblick zwei ägyptische Kanonenboote auf, und eine halbe Kompanie Infanterie empfing mich am Strand. Eine halbe Tonne Gold kam der Wirtschaft des Landes zugute, und der namenlose Amerikaner John Smith bekam sieben Jahre aufgebrummt.
      Nach sechs Monaten in einem Stadtgefängnis verlegten sie mich nach Fuad, einem Fischerdorf, neunzig Meilen von Alexandria entfernt. Wir waren ungefähr dreißig, überwiegend politische Gefangene, die zur Strafarbeit im Straßenbau abkommandiert wurden – nur handelte es sich m diesem Fall um eine neue Hafenmole. Bewacht wurden wir von einem halben Dutzend Bauernburschen in Uniform und einem Zivil aufseher namens Tufik, einem großen, dicken Mann, der viel schwitzte und immer lächelte. Er hatte zwei Frauen und acht Kinder und behandelte uns den Umständen gemäß bemerkens wert anständig. Ich glaubte allerdings mehr, daß er eine Prämie bekommen sollte, wenn die Arbeit im Juli beendet war, und das bedeutete, daß er jede verfügbare Hand zur Arbeit brauchte und nicht wollte, daß einer von uns wegstarb.
      Der Mann, der während der Nacht in glücklichere Gefilde hinübergegangen war, stellte einen Sonderfall dar. Er war ein Beduine aus dem Süden, der schon wiederholt Fluchtversuche unternommen hatte. Ein wilder, stolzer Draufgänger, der in seinem ganzen Leben noch nie unter einem Dach geschlafen hatte. Für ihn war jede Art von Gefängnis automatisch ein Todesurteil, und alle wußten das, sogar Tufik. Aber schließlich mußte man auf die allgemeine Disziplin im Lager Rücksicht nehmen, und so war er als Warnung für die anderen ebenfalls ins Loch gewandert. Als ich dazukam, befand er sich schon eine Woche dort.
      Ich trug eine Art von hölzernem Joch auf den Schultern, das mit einem Vorhängeschloß am Hals befestigt war. Meine Handgelenke waren in Schulterhöhe daran gekettet. Es war mir unmöglich, mich hinzulegen oder aufzustehen, denn wenn ich das in dem engen Raum versuchte, stießen die Enden des Jochs gegen die rauen Wände, und ich riß mir schmerzhaft den Hals auf. So saß ich in der Hitze da, versenkte mich in mein eigenes Vergessen und las in Gedanken Seite um Seite meiner Lieb lingsbücher. Das ist übrigens eine vorzügliche Geistesübung. Wenn das versagte, kehrte ich zur nächsten Phase eines höchstpersönlichen Kurses in Selbstanalyse zurück.
      Ich hatte mit meiner Kindheit begonnen, mit den frühesten Erinnerungen an Wyatts Landing, zehn Meilen von Cape Cod entfernt, wo die Familie meines Vaters herstammte. Wie wenig die mich mochte, ging mir erst auf, als er 1953 in Korea fiel. Damals war ich zehn. Erst danach wurde mir klargemacht, daß in meinen Adern nicht nur reines Wyattblut floß, denn meine Mutter war Sizilianerin. Also zogen wir nach Sizilien in die große, kühle Villa auf den Felsen über dem Meer, nicht weit von Palermo entfernt, zu meinem Großvater Vito Barbaccia, vor dem die Männer ihre Hüte, zogen und der die Polizei herumkommandierte wie Schachfiguren. Er brauchte nur ein finsteres Gesicht zu ziehen, und schon zitterten die Politiker.
      Vito Barbaccia, ›capo mafia‹, Herr über Leben und Tod…
      Ich arbeitete mich gerade durch mein erstes Studienjahr in Harvard hindurch, als ich plötzlich ein Klopfen über meinem Kopf hörte. Eine Kette klirrte, und das Kratzen sagte mir, daß die Steine weggezogen wurden. Als die hölzerne Falltür sich hob, flutete heller Sonnenschein herein und blendete mich vorübergehend. Ich schloß die Augen, blinzelte und blickte durch einen weichen, goldenen Schimmer, der mir anzeigte, daß es schon Spätnachmittag sein mußte.
      Major Husseini hockte an der Kante, klein und einge schrumpft, ausgetrocknet durch die Sinaihitze, die auch seinen Verstand durcheinander gebracht hatte, das olivfarbene Gesicht voller Pockennarben. Neben ihm standen zwei Soldaten und Tufik, der sich ausgesprochen unwohl fühlte.
      »He, Jude«, rief Husseini auf englisch. Mein Arabisch war in den letzten zehn
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