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Nacht ohne Erbarmen

Nacht ohne Erbarmen

Titel: Nacht ohne Erbarmen
Autoren: Jack Higgins
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in der Hand.
    »Sie wollen in Übung bleiben?« fragte ich.
      Er nickte. »Ich habe auf alles geknallt, was sich bewegt. Der Morgen ist genau richtig dafür. Wie geht's dir?«
      »Wesentlich besser. Der Arzt, den du mir geschickt hast, muß mir ein paar hervorragende Sachen reingepumpt haben. Übrigens vielen Dank für das Frühstück; du wußtest es also noch.«
      »Ich kenne dich doch schließlich schon lange genug, nicht wahr?« Er lächelte. Es war dieses seltene Lächeln, bei dem beinahe etwas, das in ihm gefroren war, zu schmelzen schien – aber es kam nie ganz soweit.
      Wie ich ihn so in Filzhut und Buschhemd vor mir stehen sah, erinnerte er mich wieder an unser erstes Zusammentreffen in Mosambique. Er war genau wie damals. In jeder Hinsicht fit, mit dem Körperbau eines Schwergewichtlers und der Energie eines wesentlich jüngeren Mannes, und doch hatte er sich verändert – vielleicht nicht viel, aber man merkte es doch.
      Unter den Augen bildeten sich Tränensäcke, und die Knochen setzten im Gegensatz zu früher ein bißchen Fleisch an. Wenn es sich um einen anderen gehandelt hätte, so wäre ich auf den Gedanken gekommen, daß er trank, aber für Alkohol hatte Burke stets ebenso wenig Interesse gezeigt wie für Frauen. Daß ich beides brauchte, hatte er immer nur gerade geduldet.
      Als er sich setzte und die Sonnenbrille abnahm, war es wie ein Schock für mich. Die Augen – diese prächtigen grauen Augen – waren leer und wie mit einer durchscheinenden Haut der Gleichgültigkeit überzogen. Als im Arbeitslager von Fuad für einen kurzen Augenblick die Wut aus ihnen geblitzt hatte, hatte ich den alten Sean Burke gesehen. Jetzt kam er mir vor wie ein Mann, der sich selbst fremd geworden ist.
      Er goß sich eine Tasse Tee ein, zog eine Packung Zigaretten heraus und zündete sich eine an. Das hatte ich bei ihm noch nie erlebt, und seine Hand zitterte dabei ein ganz klein wenig.
      »Ja, Stacey«, sagte er, »seit wir uns zuletzt gesehen haben, muß ich mir wohl ein paar Untugenden angewöhnt haben.«
      »Anscheinend.«
      »Wie war's denn in Afrika?«
      »Zuerst gar nicht schlimm. Das Gefängnis in Kairo war nicht schlechter, als man erwarten durfte. Im Arbeitslager war es allerdings nicht so schön. Ich glaube, Husseini ist seit dem Sinai-Feldzug nicht mehr ganz richtig im Kopf. Unter jedem Bett hat er einen Juden vermutet.«
      Er sah mich verständnislos an. Ich erklärte es ihm. Dann nickte er sachlich, als ich fertig war. »Das habe ich schon bei vielen Männern erlebt.«
      Es wurde still zwischen uns, als ob ihm nichts mehr einfiele, und ich goß mir noch eine Tasse Tee ein. Dann nahm ich mir eine von seinen Zigaretten. Der Rauch kratzte in meiner Kehle wie Säure. Ich hustete.
      Er war sofort besorgt und wollte aufspringen. »Was ist denn? Stimmt was nicht?«
      Als ich endlich wieder Atem bekam, hielt ich die Zigarette hoch. »Da drüben mußte ich ohne auskommen. Sie schmeckt wie die erste Zigarette, die man jemals geraucht hat. Keine Sorge, ich steh's schon durch.«
      »Aber warum dann wieder anfangen?«
      Ich nahm den zweiten Zug. Er schmeckte schon viel besser. Ich grinste. »In dieser Hinsicht stimme ich mit Voltaire überein: Es gibt einige Freuden, für die man eine Verkürzung des Lebens in Kauf nimmt.«
      Er runzelte die Stirn und warf seine Zigarette über die Balustrade, als versuchte er, etwas wieder ins Gleichgewicht zu bringen; denn was ich da gesagt hatte, widersprach völlig seiner eigenen Überzeugung. Für ihn hatte ein Mann – ein echter Mann – völlig beherrscht und diszipliniert zu sein, er mußte über seine Umgebung herrschen und durfte weder
    Untugenden noch übertriebene Bedürfnisse haben.
      So saß er da, die Stirn immer noch ein wenig gerunzelt, und starrte düster ins Leere. Ich betrachtete ihn genau. Sean Burke, der beste, der perfekteste Krieger, der mir jemals begegnet war. Der ewige Soldat, nach außen hin ein Achilles ohne Ferse, und doch gab es da unbekannte Tiefen. Wie gesagt, er lächelte nur selten, denn in der Vergangenheit mußte ihm irgend etwas Dunkles widerfahren sein, mit dem er immer noch nicht fertig wurde. Seine geistige Heimat war noch die Armee, die echte Armee, das wußte ich genau. Dort hätte ihn eigentlich eine große Karriere erwarten müssen.
      Während seines kurzen Ruhms im Kongo hatten die Zeitungen seine Vergangenheit in allen Einzelheiten ausge graben. Er war in Irland geboren,
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