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Nacht ist der Tag: Roman (German Edition)

Nacht ist der Tag: Roman (German Edition)

Titel: Nacht ist der Tag: Roman (German Edition)
Autoren: Peter Stamm
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Rolf.
    In unseren Club kommen vor allem Familien mit Kindern, sagte sie, seit kurzem gibt Hubert sogar Malkurse.
    Oh!, sagte Astrid und schien ehrlich erstaunt.
    Sie schwiegen. Astrid streckte sich und seufzte, als wolle sie zeigen, dass sie sich wohlfühle. Nach einer Weile kamen Hubert und Lukas aus dem Haus. Sie gingen Hand in Hand.
    Welchen Zug wollt ihr nehmen?, fragte Hubert.
    Ich habe noch keinen rausgesucht, sagte Astrid.
    Die Züge fahren immer zwanzig vor, sagte Hubert, wenn wir uns beeilen, schafft ihr den nächsten noch.
    Wollen wir nicht einen kleinen Spaziergang machen?, fragte Astrid. Wenn wir schon mal hier oben sind.
    Rolf zog eine Karte aus seinem Rucksack und sagte, er habe gesehen, dass es ganz in der Nähe einen Kraftort gebe, den würde er sich gern anschauen. Hubert verdrehte die Augen, aber Jill sagte, sie sei dabei.
    Du glaubst doch nicht etwa an diesen Hokuspokus?, fragte Hubert.
    Das ist nichts, woran man glauben muss, sagte Rolf, die meisten dieser Orte sind einfach schön gelegen und haben eine besondere Ausstrahlung.
    Sie gingen ein Stück weit die Straße entlang, dann auf einem schmalen Fußweg in eine kleine Mulde und einen Abhang hinauf. Dort lag, von einem hölzernen Zaun umgeben, eine große Steinplatte, in der viele kleine Vertiefungen waren.
    Das ist ein Schalenstein, sagte Rolf, die gibt es überall in Europa. Vermutlich sind sie von den Menschen der Bronzezeit für kultische Zwecke geschaffen worden. Schau, hier ist ein Sonnenrad.
    Tatsächlich war an einer Stelle ein Speichenrad in den Stein gemeißelt, es sah allerdings nicht sehr alt aus. Jill zeichnete es mit dem Finger nach. Rolf betrachtete stumm den Stein.
    Spürst du etwas?, fragte Hubert grinsend.
    Lass dir Zeit, sagte Rolf mit freundlicher Stimme. Du musst versuchen, Gedankenstille zu erreichen. In einem fließenden Gewässer kannst du dein Spiegelbild nicht erkennen.
    Während Rolf den Stein untersuchte, stand Astrid schweigend da. Sie schien über irgendetwas nachzudenken. Lukas war weiter den Abhang hochgerannt. Dort standen ein paar Birken mit verkrüppelten Stämmen. Er hatte sich ins Gras gesetzt und schaute auf die Erwachsenen herunter. Jill fragte sich, was der Junge von ihnen hielt. Als sie ein Kind gewesen war, hatte sie Kraftorte gekannt, lange bevor sie gewusst hatte, was das war, Orte, an die sie sich zurückgezogen hatte, die für sie eine Bedeutung gehabt hatten, die niemand sonst nachvollziehen konnte.
    Es geht um die Hierarchisierung des Raumes, sagte Rolf zu Hubert, als Künstler tust du doch nichts anderes, nicht wahr?
    Auf dem Rückweg verwickelte Astrid Jill in ein Gespräch und ging so langsam, dass die Männer bald ein Stück voraus waren. Lukas rannte zwischen den beiden Paaren hin und her, bis Astrid sagte, er solle bei ihnen bleiben. Rolf und sein Vater hätten etwas zu besprechen. Als sie die Männer beim Haus wieder einholten, schaute Jill Hubert fragend an. Dann verabschiedeten sich Rolf und Astrid von Lukas, und Hubert fuhr sie zum Bahnhof.
    Jill bot dem Jungen an, ein Spiel mit ihm zu spielen oder ihm eine Geschichte vorzulesen, aber er schüttelte nur den Kopf und verschwand im Haus. Als Hubert zurückkam, fragte sie ihn, was Rolf mit ihm habe besprechen müssen.
    Ich weiß es auch nicht, sagte Hubert, irgendwie ging es um Versöhnung. Ich habe ihm gesagt, ich hätte keinen Grund, mich mit ihm zu versöhnen, da wir nie Streit gehabt hätten. Über Astrid haben wir auch geredet. Ich frage mich, wie lange das noch gutgeht mit den beiden.
    Sie hat mich ausgehorcht, sagte Jill, sie wollte wissen, wie lange wir schon zusammen sind, wie wir uns kennengelernt haben, alles Mögliche. Ich hatte fast den Eindruck, sie ist eifersüchtig.
    Natürlich ist sie eifersüchtig, sagte Hubert. Was hast du ihr denn erzählt?
    Dass es dir gutgeht, sagte Jill.

    Die zwei Wochen mit Lukas gingen schnell vorüber. Jill staunte, wie viel Zeit Hubert sich für den Jungen nahm. Oft gingen die beiden wandern oder sie erzählten am Abend, sie hätten den ganzen Tag damit verbracht, einen Bergbach zu stauen oder auf Felsbrocken zu klettern. Manchmal kamen sie in den Club und besuchten sie im Büro oder schwammen im Pool. Während Hubert seine Malkurse gab, spielte Lukas mit den Kindern der Gäste. Als einziger Schweizer war er mit seiner komischen Sprache eine Attraktion. An den Tagen, an denen Jill freihatte, machten sie zusammen Ausflüge. In letzter Zeit hatten einige Leute den Bären gesehen, der sich in der
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