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Nacht in Havanna

Nacht in Havanna

Titel: Nacht in Havanna
Autoren: Martin Cruz Smith
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fünf Dollar stehlen oder eine Million, solange er lebt, bleibt es Kleindiebstahl, weil Sie nicht damit abhauen können und weil ihm im Grunde sowieso alles gehört.«
    »Sie können es noch aufhalten«, sagte Arkadi. »Sie haben bis jetzt selbst noch keine Gewalttat begangen. Ich weiß, daß Pribludas Tod ein Unfall war.«
    »Sehen Sie, ich habe Ihnen doch gesagt, daß wir ihn nicht angerührt haben«, sagte Walls. »Wir hatten keine Ahnung, wohin Sergej verschwunden war.«
    »Aber wir könnten es jetzt nicht mehr aufhalten«, sagte O’Brien. »In den letzten vierzig Jahren hat nur eine Generation von Kubanern Gedankenfreiheit geschmeckt, eine Gruppe hat das Kommando auf den Schlachtfeldern geführt und in der großen weiten Welt operiert. In der kubanischen Armee gibt es zweihundertvierzig Generäle, und die Armee wird kleiner und kleiner. Wohin sollen die Ihrer Meinung nach gehen, was sollen die Ihrer Meinung nach tun? Sie stehen in der Blüte ihres Lebens, dies ist ihre Chance.«
    »Ihre Zeit, die Würfel zu werfen?«
    »Ja.«
    »Und Sie haben alle Hummer bestellt.«
    O’Brien schenkte Arkadi ein anerkennendes Lächeln und nahm sein eigenes Fernglas zur Hand. »Das ist richtig, sehr gut. Das war die Abstimmung. Sie wollten alle dabeisein.«
    Die Darbietungen hatten wieder begonnen. Goldene Röcke und braune Beine verdeckten den Ehrengast in der ersten Reihe. Seine grüne Mütze schien so schwer auf ihm zu lasten wie die Mitra des Papstes. Changös grobe Gesichtszüge neigten sich leicht zur Seite, seine Glasaugen glitzerten im Licht. Neben der Bühne beugte sich der Mann mit der Pilotenbrille hinab, um jemandem die Hand zu schütteln: Erasmo. Der Mechaniker wirkte sehr blaß und besorgt, als er seinen Blick auf die »Gavilan« richtete, obwohl Arkadi wußte, daß das Boot vom Ufer aus unsichtbar sein mußte.
    Weitere Gestalten verließen die hinteren Reihen der Tribüne; Arkadi erkannte sie alle aus dem paladar Angola wieder. Die ersten Zuschauerreihen wirkten wie verzaubert von den wirbelnden Röcken, den sinnlichen Rhythmen der Trommeln aus den Lautsprechern, die vom Clubhaus widerhallten. Changös Kopf neigte sich schwer in Richtung des bärtigen Mannes neben ihm. »This side to the enemy«, dachte Arkadi. Die Uniform des Mannes saß zum Teil sicher auch deswegen so schlecht, weil er eine gepanzerte Weste trug, die kleinkalibrige Kugeln abwehren würde, jedoch nicht eine Ladung Dynamit. Keine Splitter oder Kugelpatronen, vermutete Arkadi. Sie wollten kein allgemeines Blutbad, sondern nur einen engen Radius mit einer wirkungsvollen Detonation, und wer kannte sich mit Sprengstoffen besser aus als Erasmo?
    Er schwenkte das Fernglas und entdeckte Ofelia und Mostowoi, die sich in eine vollkommen andere Richtung bewegten, weit weg von der Bühne am Strand entlang zu einer weißen Mauer, die das Grundstück des Havana Yacht Club von dem angrenzenden Strand abtrennte. Arkadi sah, wie Mostowoi auf die Uhr sah.
     
    »Es ist das La Concha, das alte Kasino« sagte Mostowoi. »Ich persönlich halte es für eine der romantischsten Kulissen in ganz Havanna. Ich habe hier schon bei Tag und Nacht fotografiert, es hat dieses exotische Flair, das Frauen so mögen.«
    Er strich mit der Hand über eine Säule. Bei all der Polizei- und Militärpräsenz auf der anderen Seite des Strandes hatten Ofelia und Mostowoi diesen Teil des Ufers ganz für sich allein. Es war jetzt ein Versammlungsort der Genußmittelgewerkschaft, doch sie erinnerte sich daran, daß es vor der Revolution nicht nur ein Kasino, sondern auch eine maurische Phantasie mit Ziegeldach und Minarett, Dattelpalmen und Orangenbäumen gewesen war. Ofelia und der Russe standen unter einer langen Kolonnade hufeisenförmiger Bogen. Die Tatsache, daß sie Mostowoi gefolgt war, bedeutete nicht, daß sie ihm vertraute. Bei all seinen Beteuerungen hatte der Mann etwas Unstetes. Seine Baskenmütze saß schief, sein Haar saß schief, und sein Blick huschte unruhig hin und her, vor allem über sie. Sie hätte nicht eine Minute mit ihm verbracht, wenn er nicht behauptet hätte, daß er wußte, wo Arkadi sie treffen wollte.
    »Erst an einen Ort, dann an einen anderen? Warum sollte er hierherkommen?«
    »Das müssen Sie ihn schon selbst fragen. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich ein Foto von Ihnen mache?«
    »Jetzt?«
    »Während wir warten. Ich glaube, daß kubanische Frauen die Kinder der Natur sind. Ihre Augen, die warmen Farben, eine Üppigkeit, die manchmal fast überreif
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