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Nacht der Wahrheit

Nacht der Wahrheit

Titel: Nacht der Wahrheit
Autoren: Thomas Knip
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kahl geschorenen Kopf abwischte.
    „Damit habe ich euch beide besser im Blick“, fügte er lakonisch hinzu und setzte sich den Helm wieder auf.
    Nefer machte sich offensichtlich keine Gedanken mehr um die Dorfbewohner, denn er gab seine knappen Befehle in aller Ruhe und stärkte sich zwischendurch mit etwas Wasser aus einem Schlauch Ziegenleder. Talon sprach ihn auf seine Bedenken an. Der Hauptmann setzte den Schlauch ab und bedachte den hochgewachsenen Mann mit einem Seitenblick.
    „Das ist eine Sache zwischen dem Dorf und uns“, kam die unwirsche Auskunft. Doch dann fügte er hinzu. „Wir haben ihnen versprochen, sie dafür für eine Generation in Ruhe zu lassen. Keine Mädchen, keine Sklaven.“
    Talon konnte bei dieser Erklärung die Unruhe, die in dem Mann wütete, förmlich spüren. Er hatte Zugeständnisse machen müssen, die seine Befugnisse wohl bei weitem überschritten. Nur, um das Mädchen lebend zu bekommen. Nefer nahm einen weiteren Schluck Wasser und warf das Ziegenleder dann unvermittelt zu Boden.
    Er rief seinen Männern zu, sich zum Aufbruch fertig zu machen und bedeutete dann Talon mit der Spitze seines Schwertes, Nayla aufzunehmen und vor ihm zu laufen. Dieser folgte dem Befehl ohne Erwiderung und hob die junge Frau hoch. Sie stöhnte leise. Unter ihren geschlossenen Lidern tanzten die Augen hin und her, ohne dass sie aus ihrer Ohnmacht zu erwachen schien.
    Talon biss die Zähne zusammen und schenkte dem Ziehen in seinem Rücken keine Beachtung. Die Anstrengungen der letzten Tage forderten immer mehr ihren Tribut. Auch wenn das Mädchen kaum mehr wiegen mochte als fünfzig Kilo, so spürte er ihr Gewicht deutlich. Er lehnte sie etwas gegen seine rechte Schulter, um die Belastung besser zu verteilen. Die gefesselten Hände lagen eng aneinander gelegt in ihrem Schoß. Im Schatten der Kuhle wirkte das Licht der Fäden, die in die Schnüre eingewoben worden waren, wie ein lebendiges Feuer.
    Das zerrissene, weiße Kleid aus einfachem Leinen, das den dunkelhäutigen Körper des Mädchens nur noch notdürftig bedeckte, stand von Dreck und getrocknetem Blut. Talon nahm sich die Wunden, die Nayla hatte, in Augenschein. Doch ein kurzer Blick zeigte ihm, dass selbst die frischesten, die ihr von den Dorfbewohnern zugefügt worden waren, bereits jetzt von einem festen Schorf abgedeckt wurden. Sekhmet ließ offensichtlich nicht zu, dass ihre Trägerin ohne weiteres starb.
    Zwei Männer bildeten die Vorhut und suchten der Gruppe einen Weg durch das dicht stehende Unterholz, das im einsetzenden Dämmerlicht des späten Nachmittags kaum noch zu erkennen war. Talon gab sich einen Ruck und folgte ihnen, auch wenn eine Ahnung der kommenden Ereignisse eine immer größer werdende Unruhe in ihm aufkommen ließ.

    Es dauerte gut zwei Stunden, bis sie die Felswand erreichten, die die Kolonie der Ägypter von der Außenwelt abschirmte. Der Blick der Männer mochte noch immer von ungebrochener Entschlossenheit zeugen, dennoch konnte Talon an ihren müden Bewegungen sehen, dass auch sie am Rande ihrer Kräfte waren. Der Anblick beruhigte ihn ein wenig, denn er war sich bis jetzt nicht sicher gewesen, ob er hier gewöhnlichen Menschen gegenüberstand.
    Die Sonne sank nun rasch. Lange Schatten legten sich über den Erdboden. Aus den Kronen der Bäume drangen nur noch vereinzelt Geräusche zu ihnen durch. Selbst die Tiere stellten sich auf den beginnenden Abend ein.
    In dieser dunstüberzogenen Dämmerung legten sich die kalten, gewundenen Steinwände der engen Schlucht, die den Fels durchschnitt, mit einer fühlbaren Masse auf die Männer. Die Schritte auf dem feuchten Untergrund hallten vielfach von den Wänden wider. Keiner von ihnen sagte ein Wort. Stumm setzten sie ihren Weg fort.
    Noch bevor sie das Ende der Schlucht passiert hatten, konnten sie bereits die ersten Lichter aus den einfachen Lehmhütten am Rande des Talkessels erkennen. Der Anblick belebte die Männer offensichtlich, denn ihr Gang war plötzlich wieder von Leben erfüllt. Talon nahm es mit einem nachdenklichen Blick zur Kenntnis. Er kannte das Gefühl nicht mehr, nach Hause zurück zu kehren. Wohin er sich wenden sollte, wenn das alles hier vorbei war, darüber hatte er sich bis jetzt noch keine Gedanken gemacht.
    Er wusste, dass er zu Shion zurückkehren musste, um die Kräfte Eser Krus wieder aufzuhalten. Doch das war nicht mehr als eine Verpflichtung; eher ein Auftrag, als die Erwartung, an einen bekannten Ort zu kommen. Die Gedanken an die Zeit
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