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Nacht der Wahrheit

Nacht der Wahrheit

Titel: Nacht der Wahrheit
Autoren: Thomas Knip
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Gründe hatte. Gleichzeitig drangen aber auch die Lebensgeister zurück in seinen erschöpften Körper. Ein leichter Windhauch legte sich kühlend auf seine feuchte Haut.
    Es mochte gut eine Viertelstunde gedauert haben, bis die Priester die Reinigung beendet hatten. Im Hintergrund hatte der Mann aus dem Dschungel erkennen können, dass sich Nefer mit seinen Soldaten dem gleichen Ritual unterzogen hatte. Offenbar durfte niemand den inneren Bereich des Tempels ohne eine gründliche Waschung betreten.
    Während zwei der klein gewachsenen Priester voraus gingen, wurde Talon von Nefer flankiert. Die anderen Soldaten hielten sich etwas im Hintergrund. Vielleicht war es ihnen nicht erlaubt, sie so weit in den Tempel zu begleiten. Doch sie würden zur Stelle sein, sollte Talon einen Fluchtversuch wagen.
    Den lang gezogenen Raum, den sie nun betraten, hatte er letztes Mal nur beim Vorübergehen kurz betrachten können. Ein Säulengang rahmte die vier Seiten der kleinen Halle ein, und nur hier schützte eine niedrige Decke vor den Witterungseinflüssen. Der innere Bereich des Raums war nach oben hin offen. Hinter den breiten Rauchfahnen, die von den Ölbecken aufstiegen, war das sternenüberflutete Dunkel der einbrechenden Nacht zu erkennen.
    An den beiden Längsseiten der Halle kauerten Priester am Boden, deren monotoner Gesang in gleich bleibendem Rhythmus auf- und abschwoll. Die begleitende Musik erklang aus dem Hintergrund, ohne dass Talon jemand hätte sehen können, der Instrumente benutzte. Am gegenüberliegenden Kopfende stand Menasseb, der Hohepriester. Er war mit nicht mehr bekleidet als einem schlichten Leinenrock, der vorne mit einem fächerartigen Muster in Falten gelegt worden war.
    Der massige Mann sah Talon erwartungsvoll an. Hinter ihm erhob sich das in Sandstein gehauene Relief eines Frauenkörpers mit einem stilisierten Löwenkopf – Sekhmet –, das gut drei Meter an Höhe messen mochte. Jetzt erst entdeckte der Mann aus dem Dschungel die beiden Schemen, die regungslos in blendenden Schein der Feuerbecken verharrten. In einem von ihnen erkannte er Nayla, die offensichtlich bei Bewusstsein war. Auch die andere Gestalt war eine junge Frau. Doch sie kauerte etwas abseits im Halbschatten einer Säule.
    Ihm war immer noch nicht klar, warum ihn der Priester hier haben wollte. Und es war müßig, sich Gedanken darüber zu machen. Als Menasseb sah, dass Nefer mit Talon den Innenbereich betreten hatte, wandte er sich um und schenkte den beiden Männern keinen Blick mehr. Die Hand des Hauptmanns legte sich auf Talons Schulter und drückte ihn langsam, aber bestimmt zu Boden. Widerwillig sank der hochgewachsene Mann auf die Knie.
    Der Hohepriester näherte sich dem steinernen Relief und streckte die Arme empor. Im gleichen Augenblick schwoll der Gesang der Priester an. Er klang fast wie ein nicht enden wollender, klagender Laut, der sich in seiner Schwere über die gesamte Szenerie legte.
    Menasseb trat auf Nayla zu, die den Priester aus großen Augen anblickte. Talon konnte im Schatten, den der Körper des Mannes auf das Gesicht des Mädchens warf, die Verzweiflung und die Furcht erkennen, die die junge Frau durchlebte.
    „Nayla, du bist die Trägerin von Sekhmet, der von Ra Geliebten, der Erleuchteten, der Unerreichten und Unbezwingbaren“, dröhnte die Stimme des Mannes durch die Nacht, untermalt durch den Singsang der Priester. „Du warst auserkoren, ihrem unsterblichen Geist als Gefäß zu dienen. Durch dich sollte sie wieder auf Erden wandeln. Doch dein Leib ist ihrer unermesslichen Macht nicht gewachsen.“
    Ein Priester trat durch einen Seitengang ein, verbeugte sich tief und streckte Menasseb ein Tablett entgegen. Der Hohepriester entnahm ein handtellergroßes Gefäß, aus dem weißer Rauch aufstieg. Der betäubende Geruch nach Weihrauch umhüllte die beiden jungen Frauen. Menasseb stimmte nun in den Gesang der Priester ein und zeichnete mit der rauchenden Schale aus Alabaster komplexe Muster in die Luft. Seine Stimme schwoll dabei an und überlagerte deutlich die der übrigen Männer.
    Mit leicht schwerfällig wirkenden Bewegungen reichte er das Gefäß zurück an den wartenden Priester. Talon vermutete, dass im dem Gefäß neben Weihrauch auch noch weitere Rauschmittel brannten. Denn selbst er spürte einen leichten Schwindel, obwohl die frische Abendluft den Rauch rasch auflöste.
    Menasseb streckte die Arme zu beiden Seiten aus und führte sie dann ganz langsam über seinem Kopf zusammen.
    „Du hast
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