Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nacht der Hexen

Titel: Nacht der Hexen
Autoren: Kelley Armstrong
Vom Netzwerk:
beherrschten unseren Text und wichen nie von ihm ab. Das ist immerhin ein Vorteil der Tatsache, dass ich nur zehn Jahre älter bin als Savannah – ich erinnere mich noch daran, dass ich die gleichen Manöver bei meiner Mom ausprobiert habe, und so weiß ich auch, wie man damit umgeht. Die Routine weiterführen. Keinerlei Ermüdungserscheinungen erkennen lassen. Irgendwann würde sie es aufgeben … nicht, dass ich das damals getan hätte.
    Savannah spähte über meine Schulter zu meinem Rucksack hin – etwas, das ihr nicht weiter schwer fiel, denn sie ist fünf Zentimeter größer als ich mit meinen eins achtundfünfzig. Fünf Zentimeter größer und ungefähr fünfzehn Kilo leichter. Ich könnte den Gewichtsunterschied damit erklären, dass Savannah wirklich sehr dünn ist, aber um die Wahrheit zusagen, ich bin etwa sieben Kilo schwerer als das, was die meisten Frauenzeitschriften als das Idealgewicht für eine Frau meiner Körpergröße bezeichnen.
    Savannah dagegen ist sehr groß für ihr Alter – groß, dünn und staksig; sie besteht nur aus Winkeln und ungelenken Gliedmaßen. Ich erzähle ihr immer, dass sie in ihren Körper noch hineinwachsen wird, so wie sie in ihre überdimensionierten blauen Augen hineinwachsen wird. Sie glaubt es mir nicht. Ebenso wenig wie sie mir geglaubt hat, als ich ihr gesagt habe, es würde ein Fehler sein, sich das taillenlange schwarze Haar abschneiden zu lassen. Jetzt hatte sie einen glatten fransigen Kurzhaarschnitt, der ihr kantiges Gesicht nur noch zusätzlich betonte. Selbstverständlich gab sie mir die Schuld dafür – weil ich ihr nicht verboten hatte, sich das Haar abschneiden zu lassen, statt ihr lediglich davon abzuraten.
    »Gehst du raus, Formeln üben?«, fragte sie mit einer Handbewegung zu meinem Rucksack hin. »Woran arbeitest du gerade?«
    »An deinem Imbiss. Milch oder Kakao?«
    Dramatischer Seufzer. »Komm schon, Paige. Ich weiß doch, was du für Zeug übst. Ich mach dir keinen Vorwurf draus.
    Diese Zirkelformeln, das ist doch für Fünfjährige.«
    »Fünfjährige sprechen keine Formeln.«
    »Der Zirkel doch auch nicht. Keine richtigen jedenfalls. Hey, komm schon, wir können zusammen gehen. Vielleicht kriege ich’s hin, dass dieser eine Luftzauber bei dir funktioniert.« Ich starrte sie an.
    »Du hast in deinem Tagebuch geschrieben, dass du mit dem Probleme hast«, sagte sie. »Hört sich nach ’ner coolen Formel an. Meine Mom hat so was nie gemacht. Weißt du was –du bringst mir den bei, und ich zeig dir irgendwas mit richtiger Magie.«
    »Du hast mein Tagebuch gelesen?«
    »Nur dein Formelübungstagebuch. Nicht das private.«
    »Woher willst du wissen, dass ich ein privates habe?«
    »Hast du eins? Hey, weißt du, was heute in der Schule passiert ist? Mr. Ellis hat mir erzählt, dass er zwei von meinen Bildern rahmen lässt. Sie wollen sie bei der Abschlussfeier nächste Woche aufhängen.«
    Savannah machte sich auf in die Küche, ohne einen Moment lang mit dem Reden aufzuhören. Sollte ich der Bemerkung über das Tagebuch nachgehen? Ich erwog es und überlegte es mir dann anders; stattdessen nahm ich meinen Rucksack und ging in mein Schlafzimmer, um die Tasche wieder in ihrem Versteck zu deponieren.
    Wenn Savannah wirklich mein privates Tagebuch gelesen hatte, würde das wenigstens bedeuten, dass sie ein gewisses Interesse an mir hatte. Das wäre gut. Na ja, wenn sie nicht gerade herumschnüffelte in der Hoffnung, etwas zu finden, mit dem sie mich erpressen konnte – damit ich ihr ein Handy kaufte zum Beispiel. Das wäre weniger gut. Was hatte ich eigentlich genau in mein Tagebuch geschrieben –?
    Während ich noch dabei war, die Tasche wegzuschließen, klingelte es an der Tür. Savannah schrie: »Ich gehe« und donnerte in den Flur hinaus – sie machte genug Krach für jemanden, der dreimal so schwer war wie sie. Als ich ein paar Minuten später ins Wohnzimmer kam, stand sie in der Flurtür, hielt einen Brief ins Licht und studierte ihn aufmerksam.
    »Probierst du deine hellseherischen Fähigkeiten aus?«, fragte ich. »Mit einem Brieföffner geht’s viel schneller.«
    Sie fuhr zusammen, ließ den Brief hastig sinken, zögerte und streckte ihn mir hin.
    »Ah, für mich. In diesem Fall würde ich dazu raten, ihn über Dampf aufzumachen.« Ich nahm den Brief. »Einschreiben? Damit wird aus gewöhnlichem Postdiebstahl Diebstahl plus Unterschriftenfälschung. Ich hoffe bloß, du verwendest deine künstlerische Begabung nicht dazu, dich vom Unterricht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher