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Nach zwei Tagen Regen folgt Montag

Nach zwei Tagen Regen folgt Montag

Titel: Nach zwei Tagen Regen folgt Montag
Autoren: A Bojanowski
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ein Eiskundler 1882.
    121 Jahre später, im Frühjahr 2003, entdeckten Forscher auf Satellitenbildern ein weiteres Mysterium auf dem zugefrorenen Baikalsee: Kilometerbreite Kreise aus Eis zeichneten sich ab. »Ungewöhnliche Ringstrukturen«, staunten Wissenschaftler in Wissenschaftlersprache. Sie sahen sich Satellitenfotos aus früheren Jahren an – auch darauf erkannten sie die Ringe.
    Anderenorts haben Eiskreise die Wissenschaft ebenso vor ein Rätsel gestellt. In der Ostsee etwa wurden sogenannte Eispfannkuchen entdeckt. Ihre Entstehung meinen Forscher inzwischen erklären zu können: In unruhigem Wasser bilden sich Pfützen aus Eisschlamm. Weil sie nach allen Seiten gegeneinanderstoßen, formen sich an ihren Rändern runde Eiskrusten. Sie sehen also aus wie die Salzdekoration am Cocktailglas. Weit größeren Anlass zur Spekulation bot ein imposanter Eiskreis am Fluss Machra, 120 Kilometer nördlich von Moskau, den der Russe Alexey Yusupov 1995 entdeckte. »Der Kreis hatte eine derart ideale geometrische Form, dass alle Zuschauer geradezu magnetisiert wurden«, erinnert er sich. Schon am nächsten Tag war das Rund jedoch verschwunden. »Da eine alte Frau im Dorf zuvor einen Kugelblitz gesehen haben will, kursierten die wildesten UFO -Gerüchte«, berichtet Yusupov. Doch auch Naturwissenschaftler konnten das Phänomen lange nicht deuten. Inzwischen gibt es aber eine Erklärung: Auf manchen Flüssen entstehen im Winter meterbreite Eiskreise, die sich um die eigene Achse drehen. Sie bilden sich offenbar meist in Flusskurven; die Strömung bricht Eis aus der gefrorenen Wasseroberfläche und lässt es in Strudeln rotieren.
    Die im Vergleich dazu riesigen Kreise auf dem Baikalsee lassen sich jedoch nicht auf diese Weise auslegen. Wie immer, wenn die Wissenschaft nicht weiterweiß, bieten sich abwegige Deutungen an: Blieben – wie lange Zeit bei den berühmten Kreisen in britischen Kornfeldern – wirklich nur Außerirdische als Verdächtige? Oder sollten Schlittschuhläufer die rätselhaften Gebilde geformt haben, zirkeln Kufenakrobaten die Kreise ins Eis? Das Phänomen trete im Spätwinter auf, berichtet Nikolai Granin vom Limnologischen Institut in Irkutsk. Er meint den Spekulationen ein Ende bereiten zu können. Nachdem am 4. April 2009 Satellitenbilder einen stattlichen Eiskreis auf dem Baikalsee gezeigt hatten, machte sich Granin mit Kollegen auf, das Phänomen vor Ort zu untersuchen. Drei Tage später stießen die Geoforscher einen Bohrer in den Eiskreis – das Gerät schälte mehrere Eisstangen heraus.
    Die erste überraschende Entdeckung war, dass das Eis am Rand des Rings dünner war als im Zentrum. »Mit zunehmender Entfernung vom Mittelpunkt durchzogen immer mehr kleine Risse das Eis«, berichtete Granin. Temperatur- und Strömungsmessungen im Wasser unter dem Eis brachten einen weiteren wichtigen Hinweis: Strudel unterwandern die Kreise. Am Rand der Kreise erreichen die Wirbel ihre größte Geschwindigkeit. Durch die Turbulenz bilden sich die dunklen Ringe, folgerte Granin: Das Eis werde am Rand der Kreise schneller zerstört als im Zentrum – Wasser dringe in die Risse, es verdunkle das Eis.
    Eine entscheidende Frage blieb zunächst aber offen: Warum gibt es solche ominösen Strudel gerade im Baikalsee? Offenbar verursachen mächtige Gaseruptionen am Grund des Sees die Wirbel, so Granin. Dort, im Boden des Baikalsees, wurden Erdgasvorkommen entdeckt. Teilweise liegen sie in Eisklumpen eingeschlossen. Zudem brodelten im Seegrund sogenannte Schlammvulkane, die neben Schlick auch Gas hervorstießen. Mit Schallwellen entdeckten Granin und seine Kollegen Gasfahnen, die vom Grund aus bis zu 900 Meter aufragten. An manchen dieser Stellen hätten sich im Winter Eiskreise auf dem zugefrorenen See gebildet. Die Theorie der russischen Wissenschaftler erscheint plausibel, bestätigt die Umweltforscherin Marianne Moore vom Wellesley College im US-Bundesstaat Massachusetts: Das Erdgas schieße vermutlich mit warmem Wasser aus dem Boden und werde beim Aufstieg in Drehung versetzt – ähnlich wie bei einem Tornado. Die Wirbel erzeugten schließlich die Eiskreise.
    Die Erforschung dieses Naturphänomens hat ernste Konsequenzen für die Schifffahrt auf dem Baikalsee. Die russische Regierung warnt Kapitäne regelmäßig vor den Orten, an denen sich Eiskreise bilden. An diesen Stellen bestehe die Gefahr, dass Erdgaswolken sich entflammten, wenn sie mit offenem Feuer – etwa an Bord eines Schiffes – in Berührung
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