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Nach dem Sturm

Nach dem Sturm

Titel: Nach dem Sturm
Autoren: Simon X. Rost
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fantastisch. Keine Ahnung, wo sie die Sachen herhaben, aber ich komme mir schäbig und dekadent vor, weil die Bürger der Stadt endlos lange vor den Geschäften und Ausgabestellen in der Schlange stehen, um etwas Brot, Milch und Bohnen zu ergattern, und ich schon lange satt bin und dennoch weiter esse. Als man uns Mangosorbet, einen kleinen Schokokuchen und eine Crème brûlée zum Nachtisch bringt, ist Satos Gleichgültigkeit gegenüber meinem Schweigen einem Stirnrunzeln gewichen.
    „Du sagst gar nichts, Jefferson? Schmeckt’s dir nicht?“
    Ich trinke einen Schluck Wasser, verschränke die Arme vor der Brust und lehne mich zurück. „Das Essen ist großartig. Ich frage mich nur, womit wir so viel Luxus verdient haben. Ist heute etwas geschehen, von dem ich nichts erfahren habe? Sind große Lebensmitteldepots gefunden worden, von denen wir bisher nichts wussten? Oder ist das Problem der Stromversorgung gelöst? Funktionieren die Generatoren auf der Mauer wieder? Gibt es einen Grund zu feiern?“
    Die Frauen werden still, die Spannung zwischen Sato und mir entgeht ihnen nicht. Sato jedoch lächelt nachsichtig, als hätte er sich bereits den ganzen Abend auf diesen Disput gefreut. Er schüttelt den Kopf. „Nichts von alldem, Jefferson. Alles ist wie immer. Wir haben die gleichen Probleme wie gestern und den gleichen Mangel wie morgen. Aber dem kann man natürlich auf zweierlei Arten begegnen. Mann kann entweder borniert sein und denken, durch die eigene Askese und Selbsbestrafung würde irgendetwas auch nur einen Deut besser werden. Oder man gönnt sich gelegentlich eine Kleinigkeit, um sich für die harte Arbeit zu belohnen, die einem ohnhin kaum jemand dankt.“
    „Oh, ich würde das jetzt nicht als eine Kleinigkeit bezeichnen. Mit diesem Festmahl könnte man eine Familie gut und gerne eine Woche lang durchfüttern.“
    Auch ich lächle jetzt, aber Rhondas Züge frieren ein. Sie sieht fast ein wenig erschrocken aus und legt mir die Hand auf den Arm.
    „Schatz, bitte nicht.“, sagt sie leise, doch Sato hat es natürlich mitbekommen und hebt abwehrend die Hand. „Nein, nein, Rhonda, lass ihn“, sagt er. „Wir müssen das klären, weißt du? Ich brauche Jefferson dringend an meiner Seite und ich könnte es nicht ertragen, dass er denkt, ich sei ein Schmarotzer wie Hudson und würde mir diesen Luxus aus selbstsüchtigen Motiven heraus gönnen.“
    Ich hebe eine Augenbraue. „Das tust du nicht?“
    Sato lächelt und schüttelt den Kopf, als sei ich ein begriffstutziger Schüler. „Aber nein, Jefferson. Sieh mal, die meisten Menschen sind nun mal leider weder so schlau noch so edelmütig wie du. Und das ist überhaupt nicht ironisch gemeint, es ist einfach eine Tatsache. Niemand will einen Anführer, der ebenso arm, hungrig und machtlos ist wie man selber. Warum? Weil sonst das Vertrauen in diese Führung schwindet! Wie kann mir jemand helfen, wie meine Probleme lösen, wenn er genauso armselig ist wie ich selbst? Was sollen die Bürger von ihrer Stadtführung halten, wenn sie in Lumpen herumläuft und nicht besser speist und wohnt als der Pöbel? Sie werden uns nicht mehr respektieren und dann haben wir erst recht ein Problem.“
    „Das finde ich auch“, sagt Rhonda, bevor ich noch etwas erwidern kann. Eleanor nickt beipflichtend.
    Ich nicke auch, so als wäre ich überzeugt. „Oh ja, und praktisch und angenehm ist es natürlich auch, wenn man selber keinen Mangel leidet und das auch noch als Führungsqulität verbrämen kann. Was glaubst du, würden wohl die Männer und Frauen dazu sagen, die Seite an Seite mit uns in den Gräben gekämpft haben, während Hudsons Leute auf sie geschossen haben? Und die jetzt die Armenküchen bevölkern? Die nicht wissen, wo das Brot für den nächsten Tag herkommen soll? Die weder Strom noch fließend Wasser haben? Was würden die wohl zu dieser Crème brûlée und der Bistecca sagen? Würden sie es auch als Zeichen deiner Führungsstärke betrachten? Als politische Notwendigkeit, damit der Respekt nicht verlorengeht? Oder vielleicht eher als Maßlosigkeit und Gier, hm? Was würden Carl und Sophie, Walt und Floyd und all die anderen dazu sagen, was glaubst du, Takumi? Oder lässt du ihnen gar keine Chance mehr, etwas zu sagen? Geht es darum, alle, die etwas anderes sagen würden, loszuwerden?“
    Eleanor zieht hörbar Luft ein. Rhonda ist rot angelaufen. Das Schweigen im Salon ist bleiern, selbst der Pianist hat aufgehört zu spielen. Sato nickt, aber sagt nichts. Er
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