Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nach alter Sitte

Nach alter Sitte

Titel: Nach alter Sitte
Autoren: Breuer
Vom Netzwerk:
sich, wie der unbekannte Täter es wohl anstellen mochte, Stephan hierherzuschaffen, ohne Aufsehen zu erregen. Oder war das alles eine Schnapsidee? Warum waren alle bereit, ihm zu folgen, obwohl er doch auch nicht wusste, ob dies hier überhaupt Sinn machte?
    Sie machten einen Bogen um die Burg herum, bewegten sich unterhalb des Westturmes. Nach rechts fiel die Burgwand senkrecht ab. Links über ihnen sahen sie noch Licht in den Fenstern des Burgrestaurants. Zögerlich ging Lorenz weiter. Das Felsplateau schien leer. Oder doch nicht? Wenn die Gestalt, die wenige Meter von ihm entfernt hinter dem Eisengeländer gekauert hatte, sich nicht bewegt hätte, er wäre wohl an ihr vorbeigelaufen. Nun richtete sich der Schatten langsam auf.
    »Alexander!«, entfuhr es Gustav.
    »Pssst.« Alexander Grosjean trat einen Schritt auf sie zu und legte einen Finger an den Mund. Rita hatte plötzlich ihre Walther P99 in der Hand. »Keine Bewegung«, flüsterte sie, und darüber wunderte sie sich selbst. Alexander hob die Hände und kam gebückt näher. »Bitte, leise«, flüsterte er zurück. »Er muss hier irgendwo sein.«
    »Wer?«
    »Der Mörder natürlich. Er hat mich herbestellt. Sagte, ich solle allein kommen, sonst stirbt noch jemand.«
    Lorenz murmelte: »Der alte Ermittler wollte auf der Stelle über den Abgrund hüpfen, wenn das keine Falle war.«
    Dann schallte eine laute Stimme über das Plateau. »Ihr braucht nicht zu flüstern! Das Versteckspiel ist vorbei!«
    Für einen Moment wusste niemand, woher die Stimme gekommen war. Doch dann erhob sich eine Gestalt direkt am Rande des Abgrunds. Lorenz starrte den Mann an, dessen Gesichtszüge undeutlich im diffusen Mondlicht zu erkennen waren.
    »Professor Gräbeldinger!«, rief er aus.
    »Ganz recht, Opa Bertold«, antwortete Gräbeldinger. »Auf mich wärt ihr wohl nie gekommen, oder? Einmal den Namen gewechselt und die Fakultät, und schon ist man aus dem Blick. Wie einfach das doch ist. Und wie langweilig. Ich hatte gehofft, auf meine letzten Tage noch einen spannenden Zweikampf zu erleben, aber ich wurde bitter enttäuscht. Der ach so brillante kriminalistische Opa Bertold ist doch auch nur ein müder Rentner, nicht wahr?«
    »Das reicht!«, rief Rita. »Die Hände nach oben und langsam näherkommen! Keine Mätzchen, sonst puste ich Ihnen das Hirn weg!«
    Gräbeldinger lachte heiser auf. »Die kesse Rita – wie forsch sie ist. Ganz wie ihre Tante Gerda, muss ich schon sagen. Sie werden nicht schießen, das wissen wir doch alle. Und wie wollen Sie einem alten Mann drohen, der einen inoperablen Hirntumor im Endstadium hat und – lassen Sie mich kurz nachzählen – zehn Menschen auf dem Gewissen hat? Nun ja, eher elf, denn wie Sie vielleicht sehen, habe ich ein Seil an mir befestigt. Dieses Seil hängt an einer kleinen Klemme, die wiederum einen Felsbrocken festhält, der mindestens einen Zentner wiegt. Und jetzt raten Sie mal, wer unten gefesselt am Felsfuß auf diesen Brocken wartet?«
    »Stephan!«, stieß Lorenz hervor.
    »Richtig, mein Lieber«, antwortete Gräbeldinger. »Der alte Junge hat mir ganz schön Arbeit gemacht, habe mich bislang eher nur mit grazileren Personen abgeben müssen.«
    »Was sind Sie denn nur für ein Mensch!«, rief Bärbel aus.
    Gräbeldinger lachte wieder auf. »Ach ja, die liebe Frau Professor Müllenmeister. Hat Ihnen mein Bild nicht gefallen? Das ist noch alte Handarbeit, nicht das moderne Farbgekleckse, mit dem Sie sich abgeben. Aber bitte, jetzt ist nicht die Zeit für fachliche Diskussionen. Jetzt wird abgerechnet.«
    »Was wollen Sie denn eigentlich?«, fragte Lorenz. »Sie haben meine Tochter vor langer Zeit ermordet, und noch einige unschuldige Menschen mehr. Wo ist der Sinn? Und was erwarten Sie jetzt von uns?«
    »Ich erwarte gar nichts!« Jetzt schrie Gräbeldinger laut, unbeherrscht. »Das glaubt ihr doch immer, nicht wahr? Der Bösewicht stellt Forderungen und so weiter. Nichts da, ich wollte einfach nur eure dummen Gesichter sehen. Und wenn ich es mir so recht überlege, will ich doch etwas.«
    »Und was wäre das?«, knurrte Lorenz.
    »Ich will, dass Opa Bertold hierher zu mir kommt, hier vor mir niederkniet und gesteht, dass er mir niemals auf die Schliche gekommen wäre und ich noch jahrelang vor seinen Augen hätte weitertöten können.«
    »Wenn’s weiter nichts ist«, sagte Lorenz und setzte sich in Bewegung.
    »Bleib stehen, Opa!«, rief Rita, die Gräbeldinger fest im Visier ihrer P99 behielt. »Geh nicht zu ihm
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher