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Mythos

Mythos

Titel: Mythos
Autoren: Markus C Schulte von Drach
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etwas ins Ohr flüstern. Der trotzige Blick des Dominikaners fiel über seine Schulter und traf Tilly. Überrascht riss er die Augen auf und schüttelte den Kopf. Etwas steckte in seinem Mund.
    In diesem Augenblick blieb die Zeit stehen. Tilly erkannte mit kristallener Klarheit alles, was in dem Zimmer vor sich ging. Alle Konturen traten scharf hervor. Die breiten Gurte, mit denen Belottis Arme an den Stuhl gefesselt waren, sodass seine Finger gerade über die Armlehnen hinausragten. Seine Haare, die wie ein Strahlenkranz hinter den Ohren hervorstanden. Der funkelnde Schweiß auf der Kopfhaut des Mönches. Papst Benedikt XVI., der durch einen Bilderrahmen aus Stuck auf das Szenario hinablächelte. Die Falten, die die Kapuze der silbern schimmernden Regenjacke des Fremden warf. Die Pistole, die auf dem Fernseher lag. Die Flamme der Kerze, die der Fremde in der Hand hielt.
    Tilly schlug die Hand vor den Mund, als der Mann den brennenden Docht unter Belottis Finger hielt. Der Mönch bäumte sich in dem Stuhl auf, drückte das Kreuz durch und warf den Kopf nach hinten.
    Im Fernseher verwandelte sich ein Jumbojet in einen Feuerball.
    Der Fremde nahm die Kerze weg und beugte sich erneut zu Belottis Gesicht hinunter. Der Mönch schüttelte den Kopf und schaute zu Tilly hinüber. Erneut bewegte sich die Kerze auf seine Finger zu. Plötzlich verkrampfte sich sein Körper.
    In diesem Augenblick, als ihre Blicke sich trafen, entspannte sich Belotti. Der Glanz verschwand aus seinen Augen. Sein Kinn sackte auf die Brust.
    Der Mann vor ihm richtete sich auf, griff nach Belottis Kinn und schüttelte den Kopf des Mönches grob hin und her. Sein Wutschrei übertönte den Lärm des Fernsehers.
    Tilly trat einen Schritt zurück in den Flur. Im letzten Augenblick sah sie, dass der Fremde sich umdrehte. Würde er in den Flur kommen?
    Von Panik erfüllt, hastete Tilly durch die nächste Tür. Das Bad. Panisch schaute sie sich um. Eine Sackgasse. Aber zurück ging es jetzt nicht mehr.
    Der Fernseher hatte ihre Schritte übertönt. Und auch den Fremden hörte sie erst, als er das Badezimmer betrat. Lautlos betete sie, dass er die Tür, hinter der sie sich auf Zehenspitzen schmal machte, geöffnet ließ. Das Licht ging an. Sie schloss die Augen. Bitte, bitte, bitte.
    Sie hörte Wasser laufen.
    „Maledetto!“, fluchte der Mann. „Maledizione!“
    Das ist kein Spanier, dachte Tilly. Das ist ein Italiener wie Belotti. Das Licht ging wieder aus. Erleichtert stieß sie die Luft aus, dankbar dafür, dass der Fernseher so laut war. Im Nachbarzimmer polterte etwas zu Boden. Sollte sie warten? Oder …
    Sie hielt es nicht mehr aus. Hier saß sie in der Falle. Sie musste weg. Raus aus der Wohnung.
    Sie holte tief Luft und schob sich mit steifen Beinen hinter der Tür hervor. Schweißtropfen liefen ihr aus den Achselhöhlen, tränkten ihre Bluse.
    Im Flur war es immer noch finster. Sie tastete sich hastig zur Wohnungstür. Dann stieß sie gegen eine niedrige Kommode. Etwas rollte über die Kante des Möbels.
    In dem Augenblick, als der Taschenschirm auf den Holzboden der Diele knallte, verstummte der Fernseher.
    Tilly riss die Tür auf, rannte blindlings hinaus und stolperte die Treppe hinunter. Waren da Schritte hinter ihr? Sie lief aus dem Haus und die leere Gasse entlang. Wo die St eig. Wo draße zur Hauptstraße abknickte, sah sie sich kurz um.
    Auf halbem Weg zwischen ihr und Belottis Haus lief ein Mann in einer silbernen Regenjacke. Sie schrie auf und rannte weiter, dankbar, dass sie die Turnschuhe und nicht die Sandalen angezogen hatte.
    Sie erreichte die Promenade entlang des Río Guadalquivir. Verärgert schauten ihr die Leute hinterher, während sie sich einen Weg durch die Menge bahnte, als sei der Teufel hinter ihr her.
    Gruppen junger Leute bevölkerten den Gehweg vor den Cafés entlang der Hauptstraße. Vor einer roten Ampel entdeckte sie eines der weißen Sevillaner Taxis. Sie rannte hinüber, riss die Tür auf und ließ sich auf den Rücksitz fallen. Der Fahrer blickte überrascht über die Schulter.
    Die Ampel wurde grün. Er bog rechts ab. Sie ignorierte seine Fragen und blickte heftig atmend durch die Seitenscheibe zurück. In der Menge vor dem Pavillon … trug der Mann dort nicht eine silbern schimmernde Regenjacke?
    Dann versperrten ihr die Häuser den Blick.
    Erleichtert lehnte sie sich zurück. Sie zitterte am ganzen Körper. Übelkeit stieg in ihr hoch. Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper. Wieso hatte jemand Belotti
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