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Mythor - 054 - Vina, die Hexe

Mythor - 054 - Vina, die Hexe

Titel: Mythor - 054 - Vina, die Hexe
Autoren: W. K. Giesa
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oder über seinen eigenen Schwanz stolperte.
    Sein hervorstechendstes Merkmal, dem er auch seinen Namen Beuteldrache verdankte, bestand aus einem großen Bauchbeutel, in dem er eine ganze Menge nützlicher oder auch nur schöner Dinge verschwinden lassen konnte, die er still und heimlich irgendwo in die Hand nahm und an die angestammten Plätze zurückzulegen vergaß. Darüber hinaus besaß Gerrek noch einige nützliche Fähigkeiten sowie ein äußerst vorlautes Mundwerk und eine gehörige Portion Griesgrämigkeit.
    Vina verblaßte dagegen fast, da sie wesentlich durchschnittlicher aussah als ihr skurriler Begleiter. Sie war etwa zwei Fuß kleiner als der Beuteldrache, schlank und gutgewachsen. Große, dunkle Mandelaugen boten einen reizvollen Kontrast zu ihrer blassen Haut. Das schwarze Haar trug sie glatt zurückgekämmt und im Nacken zu einem Knoten geschlungen, der von einem handgroßen, silbernen Zierkamm zusammengehalten wurde. Ihr schöner Körper wurde lose von einem weißen, knöchellangen Kleid aus weicher Seide umspielt, das mit einer goldenen Kordel gegürtet würde. Rote Schlangenlederschuhe und ein blutroter Umhang, dessen Farbe ihren Rang in der Hexengilde deutlich machte, ergänzten die Erscheinung. An den schlanken, gepflegten Fingern steckten Ringe mit jeweils einem erbsengroßen Kristall.
    Ihre Bewaffnung war so erlesen wie sie selbst in ihrem Aussehen; an der goldenen Kordel hingen rechts und links jeweils ein ellenlanges Kurzschwert, gerade und mit doppelter Schneide. Die Griffe waren wie die Scheiden vergoldet und kunstvoll verziert, die Scheiden darüber hinaus mit Edelsteinen besetzt.
    Schimpfend und zeternd war es Gerrek inzwischen gelungen, sich von der Naht zu lösen; der gedehnte Faden hing jetzt als lose Schlaufe hervor. Diesem persönlichen Pech folgte sogleich das nächste; ein heftiger Ruck ging durch die Gondel des Luftschiffs, und der Mandaler verlor den Halt und stürzte seiner Herrin vor die zierlichen Füße.
    Umständlich raffte er sich wieder auf. »Bevor du fragst«, sagte er grimmig: »Ich wollte dir auf diese Weise keine Huldigung darbringen!«
    Vina lächelte. »Aber mir zu Füßen machst du dich äußerst hübsch«, sagte sie.
    Abermals erschütterte ein Ruck den Zugvogel. Das Luftschiff taumelte immer stärker, als gäbe es irgendeine Riesenfaust, die nach ihm gegriffen hätte. Gerrek klammerte sich mit seinen krallenbewehrten, knorrigen Händen an einer Verstrebung fest.
    »Wir stürzen ab!« schrie er entsetzt. »Das ist unser Ende!«
    Allmählich wurde auch die Hexe unruhig. Das Verhalten des Zugvogels, wie sie ihr Luftschiff genannt hatte, war nicht normal. »Vielleicht ein Loch in der Luft«, murmelte sie, »oder eine besonders starke Bö!«
    »Ein Orkan!« zeterte der Mandaler.
    Die Hexe erhob sich jetzt. Die Gondel hörte nicht mehr auf zu schaukeln. Vina tastete sich, die Schaukelbewegung auf den Fußballen und mit ausgestreckten Armen ausgleichend, zu einem der Fenster. Der Weg war nicht weit, weil die Gondel gerade drei Mannslängen durchmaß, aber die Bewegungen ließen die Hexe fast stürzen. Vina klammerte sich mit beiden Händen an den Hohlknochen fest, die das Gestell bildeten, und sah durch das Fenster. Es war wie die Wände geschlossen, nur daß diese Drachenhaut, die man für die Fenster verwendet hatte, durchscheinend war. Doch sie konnte keine sonderlich starken Wolkenbewegungen erkennen, die für höhere Windgeschwindigkeiten typisch waren, auch war es nicht dunkel geworden wie in einer Gewitterwolke.
    Weshalb also die heftigen Erschütterungen?
    Vina preßte ihr Gesicht gegen die Fensterhaut und beulte sie ein wenig nach außen. Viel Raum gewann sie dadurch nicht, aber sie konnte jetzt etwas erkennen, das sich am Ballon festgesetzt hatte.
    »Eine Meduse!« stieß sie hervor.
     
     
    *
     
    Für einen unbefangenen Betrachter der Szene war es ein seltsames Bild. Hoch in den Lüften schwebte das Luftschiff gen Süden, dessen Name Zugvogel auf eigenartige Weise passend schien. Allein der in grellem Gelb und rot bemalte Ballon, dessen Vorderansicht ein vogelartiges Gesicht mit großen Augenflächen und spitz angedeutetem Schnabel zierte, durchmaß zwanzig Mannslängen. Sechzig Mannslängen weit spannten sich große Flügel nach rechts und links, und nach hinten ragte ein etwa dreißig Mannslängen messender Schwanz hervor. Über diesen Schwanz und die Flügel ließ sich von der acht Mannslängen unter dem Ballon hängenden Gondel aus der Zugvogel lenken.
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