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Mystic River

Titel: Mystic River
Autoren: Dennis Lehane
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gesehen.
    »Sie hat es mir erzählt, Jimmy, und ich dachte, was für eine Frau sagt solche Sachen über ihren eigenen Mann? Wie schwach muss man sein, um solche Geschichten herumzuerzählen? Und warum hat sie gerade dir das erzählt? Hm, Jim? Warum ist sie ausgerechnet damit zu dir gelaufen?«
    Jimmy hatte so eine Ahnung – er hatte schon immer so eine Ahnung wegen Celeste gehabt, wie sie ihn manchmal ansah –, aber er sagte nichts.
    Annabeth lächelte, als könne sie ihm die Antwort von seinem Gesicht ablesen. »Ich hätte dich auf dem Handy anrufen können. Wirklich. Nachdem sie mir erzählt hatte, was sie dir alles anvertraut hatte, und ich dich mit Val habe losfahren sehen, konnte ich mir zusammenreimen, was du vorhattest, Jimmy. Ich bin nicht blöd.«
    Das war sie weiß Gott nicht.
    »Aber ich hab dich nicht angerufen. Ich hab dich nicht aufgehalten.«
    Jimmys Stimme brach, als er fragte: »Warum nicht?«
    Annabeth legte den Kopf schräg und sah ihn an, als läge die Antwort auf der Hand. Sie stand auf, schaute mit ihrem neugierigen Blick auf ihn hinunter und streifte die Schuhe ab. Sie öffnete den Reißverschluss ihrer Jeans, schob sie die Hüfte hinunter, bückte sich und zog sie ganz nach unten. Sie stieg aus der Hose und entledigte sich ihres Oberteils und des BHs. Sie zog Jimmy von seinem Stuhl. Sie presste sich an ihn und küsste seine feuchten Wangen.
    »Sie sind schwach«, stellte sie fest.
    »Wer?«
    »Alle«, antwortete sie. »Alle außer uns.«
    Sie streifte Jimmy das Hemd von den Schultern und Jimmy sah ihr Gesicht am Pen-Kanal vor sich, als sie zum ersten Mal zusammen ausgegangen waren. Sie hatte ihn gefragt, ob er das Böse im Blut habe, und Jimmy hatte sie vom Gegenteil überzeugt, weil er geglaubt hatte, sie würde diese Antwort von ihm erwarten. Erst jetzt, zwölfeinhalb Jahre später, verstand er, dass sie nur die Wahrheit hatte hören wollen. Wie sie auch gelautet hätte, sie hätte sich nach ihr gerichtet. Sie hätte ihn unterstützt. Sie hätte ihr Leben dementsprechend aufgebaut.
    »Wir sind nicht schwach«, sagte sie und Jimmy spürte Lust in sich aufsteigen, als hätte sie sich seit seiner Geburt in ihm aufgestaut. Wenn er Annabeth bei lebendigem Leib hätte fressen können, ohne ihr wehzutun, er hätte sie verschlungen, seine Zähne in ihren Hals geschlagen.
    »Wir werden niemals schwach sein!« Sie setzte sich auf den Küchentisch und ließ die Beine baumeln.
    Jimmy wandte den Blick nicht von seiner Frau ab, als er die Hose auszog. Ihm war bewusst, dass es sich hierbei um ein flüchtiges Vergnügen handelte, dass er den Schmerz, den er wegen des Mordes an Dave empfand, nur verdrängte, wenn er Zuflucht in der Stärke und dem Fleisch seiner Frau suchte. Aber für heute Abend war das in Ordnung. Vielleicht morgen und in den nächsten Tagen nicht. Aber für heute Abend reichte es. Und begann eine Genesung nicht immer so? Mit kleinen Schritten?
    Annabeth legte ihm die Hände auf die Hüften, ihre Nägel gruben sich in die Haut auf seinem Rücken.
    »Wenn wir fertig sind, Jimmy, ja?«
    »Was?« Jimmy war von ihr berauscht.
    »Gib den Mädchen auf jeden Fall einen Gute-Nacht-Kuss!«

Epilog Jimmy Flats Sonntag

28 WIR HALTEN DIR EINEN PLATZ FREI
    Am Sonntagmorgen wurde Jimmy von einem fernen Trommelgeräusch geweckt.
    Nicht vom Taramtamtam und Beckengeklapper eine Punkband aus einem verschwitzten Club, sondern vom tiefen, gleichmäßigen, dumpfen Hämmern eines direkt an der Bezirksgrenze lagernden Heereszuges. Dann hörte er das unvermittelte, schräge Blöken von Hörnern. Auch das Geräusch kam aus der Ferne und wurde über zehn oder zwölf Häuserblocks mit der Morgenluft herübergetragen. Doch es erstarb so schnell, wie es begonnen hatte. In der darauf folgenden Stille lag er da und lauschte der frischen Ruhe des späten Sonntagvormittags. Es war offensichtlich ein strahlender Vormittag, nach dem grellen Schein auf der anderen Seite der heruntergezogenen Rollladen zu urteilen. Er hörte das Glucken und Gurren der Tauben auf dem Fenstervorsprung und das heisere Bellen eines Hundes unten auf der Straße. Eine Wagentür wurde aufgemacht und zugeschlagen und er wartete auf das Anspringen des Motors. Doch es kam nichts. Dann vernahm er wieder das tiefe, dumpfe Wummern, diesmal klang es gleichmäßiger, selbstsicherer.
    Er schaute auf die Uhr auf seinem Nachttisch: elf Uhr. So lange hatte er nicht mehr geschlafen, seit … Er wusste nicht mal mehr, wann er zum letzten Mal so lange im Bett
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