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Mystic River

Titel: Mystic River
Autoren: Dennis Lehane
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geblieben war. Das war Jahre her. Zehn Jahre vielleicht. Ihm fielen wieder die anstrengenden letzten zehn Tage ein, sein Gefühl, als würde Katies Sarg wie eine Aufzugskabine durch seinen Körper rasen. Und dann waren Einfach Ray Harris und Dave Boyle ihn besuchen gekommen, als er gestern Abend, eine Pistole in der Hand, betrunken auf der Wohnzimmercouch gesessen und gesehen hatte, wie sie ihm vom Rücksitz des Autos aus zuwinkten, das nach Äpfeln gerochen hatte. Und dann tauchte Katies Kopf zwischen ihnen auf, als sie die Gannon Street hinunterfuhren, aber Katie blickte sich nicht um und Einfach Ray und Dave winkten wie die Verrückten, grinsten wie von Sinnen und Jimmy spürte, wie die Waffe in seiner Hand juckte. Der Ölgeruch stieg ihm in die Nase und er erwog, sich den Lauf in den Mund zu stecken.
    Die Totenwache war ein Albtraum gewesen, denn um acht Uhr, als es rappelvoll war, war Celeste aufgetaucht. Sie war auf Jimmy losgegangen, hatte ihn mit Fäusten traktiert und ihn einen Mörder genannt. »Du hast ihre Leiche! «, hatte sie geschrien. »Und was hab ich? Wo ist er, Jimmy? Wo? « Bruce Reed und seine Söhne hatten ihn von ihr befreit und sie hinausbefördert, aber Celeste hatte weiter aus vollem Hals geschrien: »Mörder! Er ist ein Mörder! Er hat meinen Mann umgebracht! Mörder!«
    Mörder.
    Dann war die Beerdigung gewesen und das Begräbnis auf dem Friedhof, wo Jimmy am Grab stand, als sie sein kleines Baby ins Loch hinabließen, Erdklumpen und lose Steine auf den Sarg warfen und Katie unter all der Erde verschwand, als hätte sie nie gelebt.
    Gestern Nacht hatte sich das Gewicht von all dem in seinen Knochen breit gemacht und sich festgesetzt und Katies Sarg war durch ihn wie ein Aufzug gepoltert, hoch und runter, hoch und runter, so dass er sich, als er die Pistole in die Schublade zurückgelegt hatte und ins Bett gefallen war, sich unbeweglich gefühlt hatte, als wäre sein Knochenmark von einer Toten erfüllt und sein Blut geronnen.
    O Gott, hatte er gedacht, ich bin noch nie so müde gewesen. So müde, so traurig, so nutzlos und allein. Meine Fehler, meine Wut und meine bittere Traurigkeit erschöpfen mich.
    Meine Sünden erdrücken mich. O Gott, lass mich in Frieden, lass mich sterben, damit ich kein Unrecht mehr tue, nicht mehr müde bin und die Last meines Wesens und meiner Lieben nicht mehr tragen muss. Erlöse mich von all dem, denn ich bin zu müde, es selbst zu tun.
    Annabeth hatte versucht, seine Schuldgefühle, sein Entsetzen vor sich selbst zu verstehen, aber sie konnte es nicht. Sie hatte ja nicht abgedrückt.
    Und jetzt hatte er bis elf Uhr geschlafen. Volle zwölf Stunden, und zwar wie ein Toter, denn er hatte Annabeth nicht aufstehen hören.
    Irgendwo hatte er gelesen, ständige Müdigkeit, ein zwanghaftes Schlafbedürfnis, sei Zeichen einer schweren Depression, aber als er sich im Bett aufsetzte und dem Wummern der Trommeln lauschte, in das nun, sogar fast melodisch, das Blöken der Hörner einfiel, fühlte er sich erfrischt. Er fühlte sich wie zwanzig. Er fühlte sich sehr, sehr wach, als müsse er nie wieder schlafen.
    Der Unzug, fiel ihm ein. Die Trommeln und Hörner gehörten zu der Kapelle, die sich auf den Umzug auf der Buckingham Avenue heute Mittag vorbereitete. Jimmy stand auf, trat ans Fenster und zog das Rollo hoch. Das Auto vor dem Haus war nicht angesprungen, weil sie die Buckingham Avenue von den Flats bis hoch nach Rome Basin gesperrt hatten. Sechsunddreißig Häuserblocks. Er schaute auf die Straße hinunter. Sie war ein sauberer Streifen blaugrauen Asphalts in der grellen Sonne, so sauber, wie Jimmy sie noch nie gesehen hatte. An jeder Kreuzung versperrten blaue Holzböcke die Zufahrt, sie standen nebeneinander am Straßenrand, so weit Jimmys Auge reichte.
    Die Leute kamen jetzt langsam aus ihren Häusern und steckten ihren Bereich auf dem Bürgersteig ab. Jimmy beobachtete, wie sie ihre Kühlboxen, Radios und Picknickkörbe abstellten, und er winkte Dan und Maureen Guden zu, die ihre Liegestühle vor Hennesseys Waschsalon ausklappten. Sie winkten zurück und ihn rührte die Sorge in ihren Gesichtern. Maureen legte die Hände um den Mund und rief ihm etwas zu. Jimmy öffnete das Fenster, lehnte sich gegen das Fliegengitter und ein Strahl der Morgensonne, die frische Luft und ein Rest des am Gitter haftenden Frühlingsstaubs kitzelten in seiner Nase.
    »Was ist, Maureen?«
    »Ich hab gefragt: Wie geht’s dir, Junge?«, rief Maureen. »Alles in Ordnung?«
    »Ja«,
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