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Mysterium

Mysterium

Titel: Mysterium
Autoren: David Ambrose
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zu arbeiten? Hier lernte man sein Handwerk. Viele große Regisseure hatten so angefangen.
    Manche blieben jedoch in der Werbebranche.
    Und nach fünf Jahren hatte sich gezeigt, dass Tom einer von ihnen war.
    Für einen unvoreingenommenen Beobachter jedoch war er sehr erfolgreich. Er arbeitete hart und verdiente viel Geld – viel mehr als seine ehemaligen Kommilitonen. Aber tief im Herzen wusste er, dass er keine wirkliche Perspektive besaß. Vielleicht war das der Grund, warum er zu trinken begonnen hatte und Drogen nahm. Doch Alkohol und Drogen gehörten zur Arbeit. Sie waren Teil dieser Welt; fast jeder nahm sie. Außerdem habe er alles im Griff sagte Tom sich selbst und jedem, der danach fragte.
    Doch bald schon hatten die Drogen ihn im Griff. Seine Arbeit wurde immer schlechter, die Auftragslage kläglicher.
    Während seine Ersparnisse dahinschmolzen, bekam er gelegentlich Aufträge als freier Mitarbeiter, mit denen er sich über Wasser hielt. Doch er brachte kaum noch Leistung, und die Honorare flossen immer spärlicher. Bald war er fast pleite und lebte weit über seine Verhältnisse. Zum Schluss hatte er nicht einmal mehr den Mut gehabt, seine Bank anzurufen, um herauszufinden, wie groß der Schaden war.
    Zum Glück hatte seine Krankenversicherung ihm noch nicht gekündigt, sodass er während seiner Zeit im Krankenhaus versorgt war. Danach aber würde er in jeder Hinsicht auf sich selbst angewiesen sein – ein hoffnungsloser Fall; ein Mann, der eine großartige Zukunft verspielt hatte.
    Die Depression, in die Tom in dem schmerzlich unbequemen orthopädischen Krankenhausbett gefallen war, verdüsterte sich immer mehr und wurde schließlich zu einer alles durchdringenden Wut auf die Welt und darauf, dass er ein Teil von ihr war. Im Mittelpunkt seines Lebens befand sich ein Schwarzes Loch, in dem die viel versprechenden Perspektiven von einst verschwunden waren und all die Talente, die er vergeudet hatte.
    Und nun würde er selbst in diesem Schwarzen Loch verschwinden.
    Es war das Einzige, was er noch tun konnte.
    Auf dem Weg zur Physiotherapie, den er jeden Nachmittag im Rollstuhl zurücklegte, war ihm der Fahrstuhl aufgefallen, auf dessen Tür »Nur für Personal« stand. Die Kabine war groß genug, um eine Tragbahre, sogar ein ganzes Bett aufzunehmen, und die Leuchtanzeige der Etagen verriet, dass der Lift vom Keller bis zum Dach des Gebäudes fuhr. Seltsamerweise beobachtete Tom nur einmal, wie der Aufzug benutzt wurde. Er fragte die Schwester, die seinen Rollstuhl schob, und erfuhr, dass es im neuen Flügel des Gebäudes eine Reihe zentraler Fahrstühle gab, die günstiger lagen. Mehr brauchte er nicht zu wissen. Das war die Gelegenheit, nach der er gesucht hatte – ein Geschenk des Himmels, wie er sich mit bitterem Vergnügen sagte.
    Eine Woche später war er in der Lage, den Weg zur Physiotherapie mit einem Rollgestell und ohne Begleitung zurückzulegen; er wurde sogar dazu ermutigt. Tom beschloss, ein wenig länger zu warten, um den Fahrstuhl auszukundschaften, bis er die Kraft besaß, mit allen Hindernissen fertig zu werden, die er auf der obersten Etage vermutlich antreffen würde: Stufen, verschlossene Türen und Fenster, Geländer oder Brüstungen. Wenn die Zeit kam, würde er bereit sein. Es war erstaunlich, wie sehr die Tatsache, dass er ein Ziel hatte – selbst wenn dieses Ziel die Selbstzerstörung war –, alle Unannehmlichkeiten erträglicher für ihn machte. Und das Wissen, diese Entscheidung selbst getroffen zu haben, gab ihm inneren Frieden.
    Zehn Tage später hatte er sein Rollgestell gegen zwei leichte Aluminiumkrücken getauscht. Seine Muskelkraft kehrte langsam zurück; er konnte sich beinahe schon behände bewegen. Tom sagte sich, dass die Zeit gekommen sei. An einem verhältnismäßig ruhigen Spätnachmittag blickte er nach links und rechts über den Flur; dann drückte er auf einen der Knöpfe neben den Aufzugtüren. Er wartete und versuchte, sich in seine Umgebung einzufügen, während im Verborgenen das Aufzugkabel surrte. Schließlich öffneten sich die breiten Türen. Tom stieg rasch ein und drückte den obersten Knopf bevor jemand ihn entdecken konnte. Als die Türflügel sich mit leichtem Rütteln schlossen, seufzte er erleichtert. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er den Atem angehalten hatte.
    Der Aufzug schwebte ohne Zwischenstopp sanft nach oben. Die Türen öffneten sich, und Tom sah einen schmalen Korridor. Er war menschenleer, aber das war hier oben vermutlich der
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