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Mysterium

Mysterium

Titel: Mysterium
Autoren: David Ambrose
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Kind in die Arme. »Sie spricht! Oh, was bist du für ein schlaues kleines Mädchen!«
    Sie fuhren mit der Übung fort, um sicher zu sein, dass es nicht bloß ein Zufall war, sondern dass Julia tatsächlich begriffen hatte, worum es bei der Verständigung mit Worten ging. Die Bedeutung von »Mommy« und »Daddy« hatte sie augenscheinlich begriffen; größere Schwierigkeiten bereitete ihr der eigene Name.
    Clare wiederholte: »Mommy … Daddy … Julia …«
    »Mo-ma … Dada …«
    »Julia«, ergänzte Tom, als sie wieder verstummte, und stupste sie mehrmals sanft auf die Brust, um zu unterstreichen, dass sie selbst, dieses kleine Persönchen, Julia war.
    Julia schien tatsächlich zu verstehen. Sie blickte ihn mit großen Augen an; dann ahmte sie seine Geste nach und tippte sich selbst auf die Brust.
    »Melo-nie«, sagte sie.
    Tom und Clare sahen sich amüsiert an. »Kennt sie irgendeine Melanie?«, fragte Tom.
    Clare schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht.«
    » Julia «, wiederholte Tom und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf seine kleine Tochter. »Mommy … Daddy … Julia .«
    Das kleine Mädchen runzelte die Stirn.
    »Mo-ma, Dada«, sagte sie dann bestimmter als zuvor und wedelte mit den Ärmchen, um deutlich zu machen, dass sie verstanden hatte. Schließlich klopfte sie sich mit der offenen Hand auf die Brust und wiederholte: »Melo-nie.«
    Diesmal mischte sich leichte Besorgnis in Clares und Toms Lächeln, als sie einander anschauten. War mit dem Gehör des Kindes etwas nicht in Ordnung?
    »›Mommy‹ und ›Daddy‹ hat sie richtig erfasst«, sagte Clare. »Vielleicht kann sie einfach noch nicht ›Julia‹ sagen.«
    »Wie kommt es dann, dass sie ›Melanie‹ sagen kann, oder was immer das heißen soll?«
    Clare überlegte. »Vielleicht kann Susan es uns sagen«, meinte sie dann. Susan war das Mädchen, das zweimal die Woche als Babysitter zu ihnen kam. Sie war die fünfzehnjährige Tochter eines Nachbarn, ein freundliches und zuverlässiges Mädchen.
    »Du meinst, Susan nennt sie Melanie?«
    Clare zuckte die Achseln. »Vielleicht hat Susan eine Freundin, die Melanie heißt. Oder Julia hat sie am Telefon gehört und die falsche Assoziation hergestellt. Ich weiß nicht. Ich werde Susan fragen. Es muss etwas in der Richtung sein.«
    Sie sahen ihre Tochter an, auf deren Gesicht Verwirrung lag.
    »Julia«, wiederholte Clare leise, doch mit sanftem und zugleich eindringlichem Unterton. Dabei legte sie ihre Hände behutsam auf die winzigen Schultern ihrer Tochter.
    »Julia«, wiederholte auch Tom, als das Mädchen den Kopf drehte und zu ihm hochsah, um in seinem Gesicht die Bestätigung dessen zu suchen, was ihre Mutter ihr zu sagen versuchte. »Julia.«
    Julia blickte Clare an, dann wieder Tom. Plötzlich erstrahlte auf ihrem Gesicht eines jener bezaubernden Kinderlächeln, das immer dann erscheint, wenn das Begreifen kommt, wenn jeder Zweifel schwindet und die Welt wieder in Ordnung ist.
    »Juu-ja«, sagte sie, wedelte mit den Armen und klatschte in ihre pummeligen Händchen.

6
    Er konnte sich nicht erinnern, wo oder wann er dieses erste Glas getrunken hatte. Wie jeder Alkoholiker weiß, ist das erste Glas das einzige, das zählt. Die anderen kommen von selbst hinterher, Glas für Glas, und kein Ende ist in Sicht. Das gehörte zu dieser Krankheit; es ist ein Verhaltensmuster. Wenn man vergaß, wohin dieses erste Glas führte, fing alles wieder von vorne an … und das merkte man ziemlich schnell.
    Tom wusste genau, dass man es niemals ganz vergaß. In Wirklichkeit schob man die Erinnerung nur ins Unterbewusstsein und klappte den Deckel darauf Und plötzlich verwandelte sich der Deckel in einen Barhocker.
    Genau daran musste Tom nach ungezählten Drinks denken, als er durch ein Gewirr aus Unterholz und hohem Gras stolperte, auf den matschigen Boden fiel, sich wieder aufrappelte und sich weiter vorankämpfte. Ein Stück voraus stieg das Gelände an. Dort stand eine lange Reihe von Büschen, die die Grenzen des Geländes markierten, das früher wohl ein Garten gewesen war. Dahinter konnte er nur einen kalten, schiefergrauen Himmel sehen.
    Er strengte sich an, um Klarheit in sein umnebeltes Hirn zu bringen und sich zu erinnern, wo er sich befand und wie er dort hingekommen war. Doch sein Kopf blieb vollkommen leer. Er konnte sich an nichts erinnern, was in den vergangenen Stunden geschehen war. Oder waren es mehr als nur ein paar Stunden gewesen? Vielleicht sogar Tage?
    Er blickte in die Richtung zurück,
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