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Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)

Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)

Titel: Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)
Autoren: Laura Windmann
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Nur bei Wurst kennt sie kein Pardon!
    Diese Marotte geht auf die Zeit zurück, als Muddi noch bei meiner Oma und meinem Opa Kurt lebte. Unter ihrem Dach wohnte damals auch meine Urgroßmutter mütterlicherseits.
    »Schmeiß bloß die alte Wurst weg, Laura!«, ruft Muddi mir an diesem Donnerstag aus dem Wohnzimmer zu, als ich fürs Frühstück einige Pakete geschnittene Mortadella und Salami aus dem Kühlschrank holen will.
    Ich hocke vor dem Gerät, das sicherlich schon seine fünfzehn Jahre auf dem Buckel hat. »Der ist noch so gut wie neu!«, sagt Muddi mir jedes Mal, wenn ich ihr einen neuen Kühlschrank aufschwatzen möchte. Und: »Ach, das geht schon, in die Hocke komm ich ja noch, gerade so!«, wenn ich ihr vorschlage, das Gerät aufzubocken, damit sie auf Augenhöhe leichter in alle Ecken blicken kann – und nicht wochenlang den körnigen Frischkäse vergisst, der ganz, ganz hinten an der Wand steht.
    »Die Wurst ist aber noch bis einschließlich heute haltbar!«, rufe ich zurück.
    »Nee, nee, wirf sie weg!«, ruft meine Mutter beinahe panisch. »Wir können ja Käse essen. Oder Marmelade. Oder Schmalz.«
    Ich tue also, was Muddi mir sagt, und bringe Marmelade, Käse und Schmalz ins Wohnzimmer.
    Als ich mich gerade hinsetze, erklärt meine Mutter mir einmal mehr, warum sie lieber hungern würde, als abgelaufene Wurst zu essen.
    »Deine Uroma war mindestens einmal im Monat so richtig krank«, beginnt sie.
    Da ich weiß, dass das hier in den Bereich Traumabewältigung fällt, tue ich so, als würde ich die nun folgende Geschichte zum ersten Mal hören, anstatt zu protestieren: »Oh nein, nicht zum hundertsten Mal, Muddi!« Außerdem höre ich diese Geschichte wirklich so gern, dass ich sogar nachfrage: »Wieso war sie denn so oft krank?«
    »Na, ich hab dir das doch schon mal erzählt …«
    Oh, das weiß sie also doch!
    »Das macht nichts, Muddi, erzähl ruhig noch mal!«, sage ich.
    »Deine Uroma Marie hat immer Vergammeltes gegessen«, berichtet sie und schneidet eine Grimasse, als hätte sie gerade eine dicke behaarte Spinne zerkaut. »Deine Uroma war einfach geizig«, fährt sie dann fort. »Selbst wenn die Wurst schon schimmelig war – sie hat sie gegessen! Es war ihr einfach zu schade, sie wegzuwerfen.«
    »Ja, und dann wurde sie krank?«, frage ich nach.
    Muddi belegt ihr Toastbrot mit einer Scheibe Appenzeller Käse.
    »Ja, sie bekam oft fürchterliche Magenkrämpfe und versuchte, sich selbst zu kurieren, indem sie Magentropfen nahm oder einen Magenbitter trank. Aber manchmal war es so schlimm, dass sie sich aufs Bett warf und nur noch jammerte.« Muddi verändert nun ihre Stimme, indem sie eine halbe Oktave höher spricht und pommerschen Dialekt benutzt. »Ach Jott, ach nee, Wally, Lisbeth, Kenn … ick glaub, ick stääärb!«
    Wally war der Name meiner Oma. Und »Kenn« heißt »Kind«. Ich muss lachen, so gut ist Muddi darin, die Sprechweise meiner Uroma zu imitieren. Ich habe sie sogar noch gekannt; sie starb, als ich zwölf Jahre alt war.
    »Ach nee, ach Jott«, ruft Muddi noch mal in diesem Tonfall, »ick halt dat nich’ mehr aus! Holt mich den Opa Tomaszewsky! Schnell!«
    Meine Uroma wohnte an der deutsch-polnischen Grenze, und der fast neunzigjährige Opa Tomaszewsky war ein deutsch sprechender Pole, der nur fünf Gehminuten entfernt in Polen wohnte. Er konnte Krankheiten »besprechen« und heilte damit angeblich Gürtelrosen, Warzen, Klumpfüße und den bösen Blick. Immer, wenn ein Unheil die Familien in der Nachbarschaft heimsuchte, wurde er gerufen. So auch, als meine Uroma sich zum tausendsten Male in ihrem Leben den Magen verdorben hatte.
    Meine Mutter lehnt sich etwas vor und stützt sich auf der Tischkante ab.
    »Ich weiß noch, dass ich dann als Kind vor der Schlafzimmertür meiner Oma gestanden und gelauscht hab! Opa Tomaszewsky stand vor Omas Bett und murmelte mit düsterer Stimme etwas vor sich hin, bestimmt über eine halbe Stunde lang! Und zwischendurch hat er immer wieder auf den Boden gespuckt oder in einem ganz hohen Ton gepfiffen … Gott, war mir das unheimlich, Laura!«
    An diesem Punkt muss ich schmunzeln. Meine Uroma war eine gestandene Frau, und die Tatsache, dass sie einen »Medizinmann« rief, ließ klar erkennen, wie schlecht es ihr gegangen sein musste!
    »Wenn es ihr wieder besser ging, schwor sie jedes Mal, dass sie nie wieder vergammelte Wurst essen würde! Aber das hielt nicht lange an, Laura«, erzählt Muddi. »Schon damals habe ich mir geschworen, dass ich
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