Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Muttersoehnchen

Muttersoehnchen

Titel: Muttersoehnchen
Autoren: Silke Fink
Vom Netzwerk:
zu 8,6% effektiv erlaubten, sehr zur Freude der Eltern. Alles auf Nestbau, alles im Lot. Nicht, dass wir uns schon lange ein Kind gewünscht hätten. Wir hatten gerade einmal darüber gesprochen, dass wir es jetzt ja zulassen könnten – und schon war ich schwanger.

    »Die Hebamme nennt das Baby Männlein, als sie es mit geübtem Griff auf meinem Bauch platziert. Da muss es ganz schnell hin. Und auch unbedingt naturgebelassen wie in der Steinzeit: ungewaschen,
verschmiert, noch voller Fruchtwasser und Blut. Das sei wichtig für die Bindung, für die Familienbindung, hat sie mir gesagt.
    Eigentlich wollte ich ja nur ein Baby. Jetzt habe ich ein Männlein. Und mein Mann muss nun die Nabelschnur durchtrennen. Das sei ganz wichtig für die Vater-Kind-Bindung, haben sie uns gesagt. Auch für unsere Ehe? Gewiss, sagten die Hebammen landauf, landab. Und die müssen es ja wissen. Während der Wehen wird mir der absolute Liebesbeweis zuteil: Mein Gatte begreift, was ich durchmachen muss. Und ich sehe, was er nun durchmacht. Er nimmt teil und Anteil. Wow, das bindet!«

    Dabei wäre mindestens jeder zweite Mann froh, zu Hause bleiben zu dürfen, hätte er nur eine gescheite Ausrede parat. Aber die gab es seinerzeit nicht. Hätte Rolf gesagt: »Du Liebling, ich glaube, das ist nichts für mich« – ich hätte die Scheidung eingereicht. Seine Anwesenheit war zwingend. Alles andere wäre ein Desaster geworden, zumindest in meinem Kopf. Liebe zeigt sich oft und überall, so ganz richtig aber nur im Kreißsaal. Damals habe ich daran geglaubt.
    Und jetzt habe ich die Szene im Kopf, als wäre sie nicht vor 20 Jahren sondern erst gestern gewesen, in einem deutschen Herbst, die Nacht sternenklar, die Mauer gefallen, die Wiedervereinigung organisiert. Es war die Zeit der Haus- und Wassergeburten und der PEKiP [=Prager-Eltern-Kind-Programm]-Gruppen. Impfen war out, Lammfelle waren in. Und Klein-Maik war da, zwei Wochen über die Zeit: ein Wonneproppen von 3700 Gramm. Alles sollte gut werden.
    Ich hörte die Hebamme davon sprechen, dass der Vater ihr Partner sei, aber sie behandelte ihn wie ein ungeliebtes Mitbringsel. Andauernd fragte sie ihn, ob er noch könne, ob er das durchhielte. Und klärte ihn darüber auf, was er an ihrer Stelle bald zu tun haben würde. Im Nachhinein glaube ich, die Frau hat ihn gehasst. Und ich habe ihn nicht gebraucht. Ich wollte mich nur um mich selbst kümmern, niemandem dankbar sein müssen.
    Heute weiß ich, dass ich nur Menschen um mich haben wollte, die dafür bezahlt werden, dass ich ihnen den Schlaf raube. Ärzte,
Schwestern, Hebammen, die schon tausend Geburten erlebt haben, während ich das Gebären gerade erst erfinde. Sie sollten mir sagen, was ich zu tun und zu lassen habe. Auf gar keinen Fall wollte ich meinem Mann ins Gesicht schreien, nicht in diesem Bett, schon gar nicht vor Schmerz.
    Diese Überlegungen hatten im Vorfeld keine Rolle gespielt. Erst als ich in den Wehen lag, dachte ich: Könnte er jetzt nicht gehen? Von mir aus ein Bier trinken. Ich will nicht peinlich sein. Ihm nicht und mir schon gar nicht. Aber anno 1990 gehörten die Männer in den Kreißsaal, so sicher wie das Amen in die Kirche. Leider war meiner mir dort fremd. Und ich ihm wohl auch.
    Rolf und ich wollten gute Eltern sein. Wir wollten alles richtig machen zum Besten unseres Kindes, und wir wollten uns die Rechte und Pflichten gerecht teilen. Oh je! Ich kürze den Bericht ab und fasse zusammen: Ich spielte die Königin Mutter, meinen Mann ernannte ich zum Mutterschaftsassistenten. Er sollte sich um das Kind kümmern, aber genauso wie ich es wollte. Das Fläschchen sollte er im 55-Grad-Winkel halten, den Sauger bitteschön etwas flacher, die Windel andersherum. Und dem Kind das berühmte Bäuerchen zu entlocken, traute ich ohnehin keinem Mann zu.
    Rolf hat es ertragen, hat mich ertragen. Mein Wort war Gesetz, und so wurde binnen Wochen klar, dass ich der bessere Elternteil bin. Heute weiß ich, dass es viel besser gewesen wäre, wenn mein Mann den Befehl verweigert hätte. Er hätte mir klare Grenzen setzen sollen, mich stoppen müssen, wo ich nicht zu bremsen war: »Entweder fütterst du, oder ich tue es. Auf meine Art.« Damit hätte er seinen geliebten Sohn bestimmt weder erstickt noch ertränkt. Doch Rolf hat sich untergeordnet, funktionierte, wie ich das von ihm erwartete. Unserem Sohn hat das nicht geschadet, wohl aber uns. Seine wortlosen Zugeständnisse waren der Grundstein für unsere nachhaltig gestörten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher