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Mutterschuldgefuehl

Titel: Mutterschuldgefuehl
Autoren: Ulrike Hartmann
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die meisten Broschüren, Internetseiten und Ratgeber äußerst diskret, sondern es wird auch unter Schwangeren kaum darüber gesprochen, obwohl in manchen Fällen das Risiko, eine Fehlgeburt auszulösen, deutlich höher ist als die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind ein Downsyndrom hat. Bei einer Nabelschnurpunktion gibt es ein Fehlgeburtsrisiko von 1 bis 3 Prozent. Und bei einer Fruchtwasseruntersuchung liegt das Risiko bei 0,5 bis 1 Prozent. Eine von 200 Frauen hat eine Fehlgeburt.
    Auch die Fehldiagnosen sind erschreckend. 95 bis 97 Prozent der Kinder, so die BZgA, denen nach einer Untersuchung des Frühscreenings eine auffällige Nackentransparenz bescheinigt wurde, haben einen ganz normalen Chromosomensatz. Der Triple-Test - ein Bluttest in der 16. bis 18. Schwangerschaftswoche - »ist inzwischen auch bei den Ärztinnen und Ärzten umstritten, weil er zu viele fehlerhafte Ergebnisse liefert«. Die meisten Kinder mit einem auffälligen Befund kommen völlig gesund auf die Welt.
    Selbst Ultraschalluntersuchungen sind nicht so harmlos, wie sie anmuten. In Deutschland gehören theoretisch drei Ultraschallbefunde zu den Standarduntersuchungen in der Schwangerschaft. Tatsächlich aber gehen viele Frauen alle vier Wochen und häufiger zum Babyfernsehen, denn die meisten - bis zu 70 Prozent - sind ja Risikopatientinnen. Nirgendwo in Europa werden so viele Ulltraschalluntersuchungen gemacht wie in Deutschland, aber deutsche Neugeborene sind nicht gesünder als andere. Die Beliebtheit und Häufigkeit hierzulande von Ultraschalluntersuchungen täuschen darüber hinweg, dass diese Untersuchungen oft erhebliche Konsequenzen haben. Es wird nicht nur vermutet, dass Ultraschall für Ungeborene eine immense Lärmbelästigung darstellt, sondern bei keiner anderen Untersuchung werden mehr Auffälligkeiten entdeckt als bei dieser. Die Bilder
werden von Ärzten nicht selten fehlinterpretiert und führen dann zu unnötiger Verunsicherung und weiteren belastenden Maßnahmen.
    Â 
    Â»Oh«, sagt mein Arzt, »das ist aber merkwürdig.«
    Ich liege auf einer Krankenpritsche in einer winzigen Kammer. Er untersucht gerade mit dem Ultraschallgerät meinen nackten Bauch, der sich inzwischen beachtlich in die Höhe hebt. Beim Klang seiner Stimme hebe ich alarmiert den Kopf. Er starrt angestrengt in den Monitor.
    Â»Was ist merkwürdig?«, frage ich schrill.
    Er schweigt und starrt. Ich zähle innerlich bis zehn, wild entschlossen, bei elf loszuschreien.
    Â»Das habe ich bisher nur in Lehrbüchern gesehen«, murmelt er bei neun. »Das müssen Sie später einer Kinderärztin zeigen.«
    Â»Wovon reden Sie denn?« Mir bleibt fast das Herz stehen. Er glotzt immer noch in den Monitor.
    Â»Ihr Kind hat drei Nieren.« Er schweigt und guckt in sein Gerät. Ich halte den Atem an.
    Â»Ach nee, doch nicht«, sagt er dann gut gelaunt. Fröhlich dreht er sich zu mir um. »War wohl nur ein Schatten.«
    Â 
    Es hilft nichts. Wir brauchen Hilfe. Wir lassen uns auf Feinultraschalluntersuchungen ein. Das machen Ärzte, die sich auf so etwas spezialisiert haben, mit sündhaft teuren Geräten, die hoffentlich Schatten und Materie unterscheiden können und bei denen man stundenlang im Wartezimmer warten muss, mit zahlreichen anderen Schwangeren mit und ohne Anhang, die alle von ihren Frauenärzten und -ärztinnen zum Spezialisten geschickt werden. Aus welchem Grund auch immer. Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: Besonders bei Feinultraschalluntersuchungen finden Ärzte häufig etwas, das nicht der Norm entspricht. Ob ein zu kleiner oder großer Kopf, Zysten im Hirn oder undefinierbare Flecken auf dem Herzen - die künftigen Eltern bekommen die Beobachtungen unverzüglich präsentiert, mit der tröstlich gemeinten Bemerkung, dass die Auffälligkeiten
in der Regel kein Grund zur Besorgnis seien. Das würde sich meist auswachsen. Dies kann aber erst netterweise sechs Wochen später bei einem nächsten Termin festgestellt werden. Man zeige mir bitte die Eltern in spe, die sich in dieser Zeit gelassen zurücklehnen.
    Ich verstehe die Ärzte. Sie wappnen sich mit den Mitteilungen ihrer unausgereiften Diagnosen gegen gerichtliche Ansprüche, die sie erwarten würden, wenn sie einen Defekt übersehen oder bei Auffälligkeiten nicht über die Möglichkeit einer Fruchtwasseruntersuchung informieren
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