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Mutterliebst (German Edition)

Mutterliebst (German Edition)

Titel: Mutterliebst (German Edition)
Autoren: Antoinette van Heugten
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Seine schweren Lernstörungen machen ihn zum Außenseiter. Danielle versteht das. Wenn man unaufhörlich verspottet wird, kann man keine weiteren sozialen Ausgrenzungen riskieren. Die Isolation dämpft zumindest den Schmerz. Und es ist keinesfalls so, als hätte Danielle nicht alles versucht. Max hat unzählige Schulen in Manhattan besucht. Selbst die Einrichtungen, die sich Schüler mit besonderen Bedürfnissen annehmen, haben ihn rausgeworfen. Jahrelang ist sie zu jedem Arzt gepilgert, der eine neue Behandlungsmethode zu bieten hatte. Andere Medikamente. Einen anderen Traum.
    „Georgia“, wispert sie. „Warum passiert das? Was soll ich nur tun?“ Sie blickt ihre Freundin an. Traurigkeit ist ein Gefühl, das sich perfekt in ihrer beiden Augen spiegelt. Danielle spürt, wie Tränen in ihr aufsteigen, und nestelt hastig am Saum ihres Rocks herum. Da ist ein loser Faden.
    „Du bist doch hier, oder nicht?“ Georgias Stimme ist so sanft wie ein Frühlingsschauer. „Es muss eine Lösung geben.“
    Danielle ballt die Hände zu Fäusten, während die Tränen nun doch schnell und heftig fließen. Rasch blickt sie zu Max hinüber, aber der schläft nach wie vor. Georgia holt ein Taschentuch aus ihrer Handtasche. Danielle wischt sich damit über die Augen und gibt es dann zurück. Ohne Vorwarnung streckt Georgia die Hände aus und schiebt den Ärmel von Danielles Bluse hoch – bis zum Ellbogen. Danielle zieht den Arm ruckartig zurück, doch Georgia packt blitzschnell ihr Handgelenk und hält sie fest. Lange, rote Striemen verlaufen vom Gelenk bis zum Ellbogen.
    „Nicht!“, zischt Danielle heftig und schiebt die Bluse hastig wieder hinunter. „Er hat es nicht so gemeint. Es ist nur das eine Mal passiert – als ich die Drogen gefunden habe.“
    Georgia wirkt bestürzt. „Das kann so nicht weitergehen – weder für ihn noch für dich.“
    Danielle reißt ihren Arm los und fummelt wild an dem Knopf herum. Die leuchtend roten Wunden sind bedeckt, aber ihr Geheimnis ist nicht länger sicher. Dabei ist es an ihr, dieses Geheimnis zu ertragen.
    „Miss Parkman?“ Die ausdruckslose, glatte Stimme klingt wie gecastet. Der Kurzhaarschnitt und die schwarze Brille, die Dr. Leonards jungenhaftes Gesicht einrahmen, entsprechen dem perfekten Durchschnitt – er ist eine wandelnde Werbung für die Amerikanische Gesellschaft für Psychiatrie.
    Immer noch entsetzt über Georgias Entdeckung, zwingt sich Danielle, normal zu sprechen. „Guten Morgen, Doktor.“
    Er betrachtet sie aufmerksam. „Möchten Sie hereinkommen?“
    Danielle nickt und greift nach ihrer Tasche. Sie spürt, dass sie rot wird.
    „Max?“, murmelt Dr. Leonard.
    Der Junge ist noch nicht richtig wach, zuckt aber mit den Schultern. „Was auch immer.“ Er steht auf und folgt Dr. Leonard widerwillig den Gang hinunter.
    Danielle wirft Georgia einen angstvollen Blick zu. Sie fühlt sich wie ein Reh, das in einen Maschendrahtzaun geraten ist und dessen Bein kurz davor steht, zu brechen.
    „Mach dir keine Sorgen.“ Georgias Blick ruht fest auf ihr. „Ich bin hier, wenn du zurückkommst.“
    Danielle holt tief Luft und strafft die Schultern. Es ist an der Zeit, sich in die Höhle des Löwen zu begeben.
    Sie betritt den Raum nach Max und Dr. Leonard. Als Erstes bemerkt sie die glatte Ledercouch mit dem orientalischen Kissen und die obligatorische Schachtel mit Taschentüchern, die auf dem makellosen Stahltisch daneben steht. Sie geht zu einem der Stühle herüber und nimmt Platz. Ihre Kleidung ist die einer Anwältin. Dies ist nicht der Ort, an dem sie sie tragen möchte.
    Max sitzt vor Dr. Leonards Schreibtisch, den Stuhl so platziert, dass er von ihnen weg zeigt. Danielle wendet sich dem Arzt zu und schenkt ihm ein einstudiertes Lächeln. Er erwidert das Lächeln und neigt leicht den Kopf. „Sollen wir beginnen?“
    Danielle nickt. Max bleibt stumm.
    Dr. Leonard rückt seine Brille zurecht und blickt auf Max’ Tagebuch. Dicht beschriebene Notizen füllen seinen gelben Block. Er schaut auf und spricht mit sanfter Stimme. „Max?“
    „Ja?“ Der finstere Gesichtsausdruck des Jungen spricht Bände.
    „Wir müssen etwas sehr Ernstes besprechen.“
    Dr. Leonard holt tief Luft und fixiert Max mit seinem Blick. „Hast du Selbstmordgedanken?“
    Max zuckt zusammen und schaut Danielle vorwurfsvoll an. „Ich weiß nicht, wovon zur Hölle Sie reden.“
    „Bist du sicher?“ Dr. Leonards Stimme ist ganz weich. „Dir kann hier nichts passieren, Max. Du kannst darüber
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