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Mutterliebst (German Edition)

Mutterliebst (German Edition)

Titel: Mutterliebst (German Edition)
Autoren: Antoinette van Heugten
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Schoß. Sie waren den ganzen Morgen geschwommen und dementsprechend müde. Max schlang seine Arme fest um ihren Nacken und verfiel in einen tiefen Schlaf, wie er für kleine Jungen typisch ist. Sie atmete den berauschenden Duft der Magnolien um sich herum ein – die Blüten waren so voll und schwer, dass sie bald auf das satte grüne Gras darunter fallen würden. Ihr Duft vermischte sich mit der Essenz ihres Sohnes – eine Kombination aus Jungenschweiß, sonnenverbrannter Haut und würzigem Aroma. Als sie ihn fester an sich drückte, spürte sie, wie sein Herz im Gleichklang mit ihrem schlug. Mit geschlossenen Augen gab sie sich diesem perfekten Moment zwischen Mutter und Sohn hin – er war so intensiv, dass sie nicht sagen konnte, ob es sich um schreckliche Traurigkeit oder helle Freude handelte. So würde es immer zwischen ihnen sein, dachte sie in jenem Augenblick. Nichts, schwor sie, würde sie jemals auseinanderreißen.
    In diesem Moment schaut sie auf und sieht das weiße, geschwungene Tor. Sie entdeckt auch das verwitterte Schild. Verblichene schwarze Buchstaben, die sich gegen den blauen Himmel abheben.
    Maitland , steht auf dem Schild, das in der sanften Brise schaukelt.
    Maitland, Psychiatrische Klinik.

3. KAPITEL
    Danielle und Max sitzen in einem Raum mit leuchtend orangefarbenen Wänden und sehen zu, wie der Leiter der Gruppe einen Kreis aus blauen Plastikstühlen aufbaut. Der Fußboden besteht aus einem schwarzweißen Linoleummuster und riecht nach Desinfektionsmitteln. Eltern und hilflose Teenager strömen widerwillig in das Zimmer hinein. Danielles Herz krampft sich schmerzhaft zusammen. Wie ist es möglich, dass sie sich mit Max an diesem Ort aufhält? Die Gesichter der Eltern spiegeln allesamt die gleiche hässliche Mischung aus Hoffnung und Angst, Resignation und Verleugnung wider – jedes einzelne erzählt seine ganz eigene tragische Geschichte. Sie wirken wie bereits verbrannte Opfer, die sich darauf gefasst machen, noch eine weitere Schicht Haut einzubüßen.
    Max ist an ihrer Seite, wütend und verlegen, denn er ist alt genug, um ganz genau zu wissen, wo er sich gerade aufhält. Seit ihrer Ankunft hat er kein einziges Wort gesprochen. Er sieht so … jungenhaft aus. Seine Kleidung besteht aus einem übergroßen Poloshirt, zerknitterter Khakihose und Mokassins ohne Socken. Die Sportuhr, die er trägt, ist zu groß, ganz so, als hätte er sich die Uhr seines Vaters stibitzt. Ohne dass sie ihn darum gebeten hätte, hat er den leichten Oberlippenbart am Vorabend in New York abrasiert. Sein Mund ist eine schmale Linie, die ungefähr die Breite eines Bleistiftstriches hat. Es bleibt nur ein einziges äußeres Zeichen seiner Rebellion übrig – das kalte, hässliche Piercing an seiner Augenbraue.
    In letzter Minute schwingt die Tür auf, und eine Frau stürmt herein, die einen Teenager an der Hand hinter sich her zerrt. Sie bleibt unvermittelt stehen, und ihr Blick überfliegt die Runde. Ihre blauen Augen bohren sich in die von Danielle. Sie lächelt. Danielle blickt sowohl nach rechts als auch nach links, doch niemand schaut auf. Die Frau kommt schnurstracks auf sie zu, setzt sich neben Danielle und zieht den Jungen auf den nächsten freien Stuhl. „Marianne“, wispert sie.
    „Danielle.“
    „Guten Morgen!“ Eine junge Frau mit wilden roten Haaren und einem Namensschild, auf dem „Nennen Sie mich Joan!“ steht, betritt die Mitte des Kreises. Ihre Stimme klingt wie Hagelkörner, die auf ein Blechdach regnen. „Das ist unsere Gruppensitzung, in der wir neue Patienten und ihre Eltern in Maitland willkommen heißen und, nun ja, unsere Gefühle und Sorgen teilen.“
    Danielle hasst Gruppentherapien. Alles, was sie jemals „geteilt“ hat, kehrte wieder und trat sie in den Hintern. Verzweifelt blickt sie sich nach einem Schild um, das den Weg zum Ausgang weist. Sie braucht eine Zigarette – ganz dringend. „Nennen Sie mich Joan!“ Sie klatscht in die Hände. Zu spät.
    „Wir fangen einfach irgendwo an und gehen dann im Kreis weiter“, sagt sie. „Stellen Sie sich vor und erzählen Sie uns, warum Sie hier sind. Denken Sie daran, dass alle Gespräche streng vertraulich behandelt werden.“
    Die Geschichten sind herzzerreißend. Da ist Carla, die spindeldürre Kellnerin aus Colorado, die ihrem Sohn liebevolle Blicke zuwirft, während sie berichtet, wie er ihr das Handgelenk gebrochen und ihr Auge blau geschlagen hat. Als Nächste ist Estelle an der Reihe, eine elegante schwarze
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