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Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)

Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)

Titel: Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)
Autoren: Martina Rosenberg
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eine Möglichkeit«, konterte ich frech. »Aber das könnt ihr ja dann immer noch machen, falls wir wieder ausziehen sollten.«
    Meine Mutter verzog das Gesicht. »Nur über meine Leiche«, schimpfte sie. Sie wollte sich ganz offensichtlich nicht die Laune von uns verderben lassen und hantierte weiter mit ihrem Geschirr.
    Ich setzte mich zu meinem Vater und hoffte auf ein persönliches Gespräch. »Was sagst du denn dazu? Gefällt dir die Idee auch?«
    Er blickte mich an und wirkte leicht irritiert. Vor ihm stand, wie jeden Morgen, seine zweite Tasse Kaffee mit einem Schuss Milch und Süßstoff. Sein Blick sprach für sich: Direkte Fragen mochte er nicht. Dinge wie diese klärte immer seine Frau für ihn. Überhaupt mochte er persönliche Gespräche nicht gern, zumindest mit mir und meinen Geschwistern nicht. Um sich seine Verlegenheit nicht anmerken zu lassen, lachte er gern mal am falschen Platz, wo es eigentlich nichts zu lachen gab. Es hatte sich in den letzten fünfunddreißig Jahren nichts geändert. Der Dialog mit seinen Kindern fiel ihm immer noch schwer. Vor allem, wenn es um etwas Persönliches ging.
    »Deine Mutter hat dir doch schon gesagt, dass es eine prima Idee ist, oder?« Und wie eh und je unterbrach er die Konversation mit einer blöden Bemerkung: »Es sind mir dann zwar fast etwas zu viele Frauen im Haus, aber ich muss das wohl aushalten. Haha!«
    Sein Lachen lenkte die Aufmerksamkeit meiner Mutter auf uns. Sie kam aus der Küche und fragte: »Was ist denn hier los? Was gibt’s denn da zu lachen?«
    »Nichts«, sagte ich und ging grübelnd wieder nach oben.
    Es war immer dasselbe mit ihm. Ich kam einfach nicht an ihn ran. Dabei hätte er doch ganz normal antworten können. Mein Vater war und blieb der Macho in der Familie. Meine Mutter gehörte zu der Generation, in der die Frauen dem Mann hundertprozentig den Rücken freihielten. Sie kümmerte sich um die Kinder und deren Erziehung, das Haus, die Finanzen und alles, was zum Leben einer Familie mit drei Kindern dazugehörte. Mein Vater kümmerte sich ausschließlich um seine Arbeit. Immerhin war er Schulleiter und hatte viel zu tun. Wenn er, gestresst von der Schule, am Mittagstisch saß, mussten alle mucksmäuschenstill sein.
    Jens und Lena waren mit dem Hund in den Garten gegangen. Draußen lag Schnee, und die beiden hatten sich den Schlitten geholt. Sugar hatte die Aufgabe, den Schlitten zu ziehen, während Lena quietschend versuchte, sich darauf festzuhalten. Mein Blick ruhte auf dem Garten, in dem ich groß geworden war, und ich erinnerte mich an ein Ereignis, das bezeichnend war für die angespannte Atmosphäre zu Hause: Meine Eltern und ich aßen zu Mittag, ohne zu sprechen. Ich verursachte versehentlich mit meiner Gabel auf dem Teller ein hässliches Quietschgeräusch, was dazu führte, dass mein Vater aufstand, wutentbrannt die Serviette auf den Tisch warf und davonrauschte. Zurück blieben meine etwas überraschte und um Verständnis heischende Mutter und ich als völlig schockierte Tochter.
    Seine Nerven lagen viele Male blank, wenn er von der Schule kam. Meine Mutter versuchte dies immer auszugleichen. Sie warnte uns Kinder schon oft vor der Heimkehr des Vaters mit den Worten: »Seid bitte rücksichtsvoll und plappert nicht gleich los. Vati hatte einen anstrengenden Vormittag und braucht Ruhe.«
    Das sah dann eben so aus, dass er wortlos zu Mittag aß und sich im Anschluss in sein Zimmer zurückzog. Frühzeitig wurde mir klar: Der Beruf Lehrer muss wahnsinnig stressig sein. Lehrerin werde ich bestimmt nicht, obwohl meine Mutter immer betonte, dass nicht die Kinder das Problem seien, sondern die Eltern.
    Ja, Vati brauchte Ruhe. Solche Sätze wurden oft bei uns gesprochen. Ich war mir nicht ganz sicher, ob es immer noch so war. Mein Vater war mittlerweile pensioniert und sollte längst nicht mehr so gestresst sein. Ganz bestimmt läuft es anders, wenn wir herziehen, beruhigte ich mich. Er hat seine Launen jetzt sicher besser im Griff.
    Um meinen Mann nicht zu verunsichern, behielt ich diese Gedanken erst einmal für mich.
    Mehrgenerationenhaus
    Den ersten Schnee sehen wir am Brennerpass. Gerade noch standen wir in kurzen Hosen auf dem Schiff, jetzt frieren wir am offenen Fenster an der Mautstelle. Die Surfbretter stapeln sich auf dem Dach, das Fahrrad ist daneben festgezurrt, der Hund auf der Rückbank eingeklemmt. So erreichen wir gegen Abend endlich unser Zuhause. Vermutlich stand mein Vater schon länger hinter dem Küchenfenster,
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