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Mutproben

Mutproben

Titel: Mutproben
Autoren: Ole von Beust
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einmal um. Abends brachte er dann tütenweise Neueinkäufe mit nach Hause und meine Mutter seufzte jedesmal: »Nun hat er sich schon wieder Klamotten gekauft.« Ich konnte damit nichts anfangen, Mode war mir völlig egal. Bis heute graut es mir davor, in die Stadt zu fahren, um mir neue Sachen besorgen zu müssen. In meiner Amtszeit als Erster Bürgermeister musste ich dann immer schmunzeln, wenn es hieß: Ole von Beust ist der bestangezogene Politiker der Republik. Tatsächlich kaufe ich meine Kleidung immer von der Stange: Größe 50, passt. Viele Hemden hab ich vom Discounter und auch für Schuhe gebe ich wenig aus. Ich bin da anspruchslos, aber vermutlich hat mein damaliger Status den Modekritikern den Blick etwas vernebelt.

    Die Begeisterung für den Adel jedenfalls, den meine Großmutter pflegte, war auch auf meinen Vater übergeschlagen. Gern saß er in seiner Freizeit zu Hause im Sessel und las das Deutsche Adelsblatt . Es erschien einmal im Monat und verstand sich als Sprachrohr der »Von- und Zus«. Ich wunderte mich immer, dass sich überhaupt jemand für so langweiliges Zeug interessieren konnte. Zu achtzig Prozent bestand der Inhalt aus Traueranzeigen. Hier war dann nicht zu lesen, dass jemand gestorben war, sondern es hieß nur, dass jemand eingezogen worden sei zur ewigen Armee. Der Rest waren annoncierte Einladungen, in denen die Familien ihre Familientage mitteilten: Vetter Marquardt hält einen Vortrag zum Einzug der Technik auf den Pommerschen Gütern. Eine völlig
überdrehte Sache also, und ich fragte mich als Kind schon immer, was das sollte. Mein Vater belustigte sich einerseits daran, empfand andererseits aber auch ein pittoreskes Interesse dafür. Ich hingegen hatte mit dem Adel nichts am Hut und schlug später alle Einladungen zu entsprechenden Veranstaltungen aus. Meine Großmutter galt in unserer Familie schon als etwas tüddelig, wie es bei uns Norddeutschen heißt, was ihren Adelstick noch befeuerte und zu skurrilen Situationen führte. Sie legte gerne Marschmusikplatten auf und defilierte dazu wie Loriot im Wohnzimmer auf und ab. Mich amüsierte das als Kind eher, ich dachte, die spinnt eben ein bisschen. Dass diese Tüddeligkeit aber schon die ersten Anzeichen einer aufkommenden Demenz waren, ahnte ich natürlich nicht. Als ich etwa elf Jahre alt war, starben die Großeltern Beust; mehr als eine entfernte Bewunderung für sie entstand nie.

    Solche Besuche bei den Großeltern blieben die Ausnahme. Meist streunte ich allein bei uns in Duvenstedt herum und war mehr mit der Natur zusammen als mit anderen Menschen. Außer zu meiner Mutter und zu einem Nachbarsjungen, auf den ich sehr fixiert war, hatte ich nicht viel Kontakt zu anderen Leuten. Ich lief umher, habe gebastelt oder die Kühe gefüttert. Und das trug durchaus merkwürdige Blüten. »Fang doch mal einen Hasen«, sagte meine Mutter gern zu mir, wenn sie genervt war und wollte, dass ich aus dem Haus gehe. Sie hatte mir erklärt, dass man einen Hasen fängt, indem man ihm Salz auf den Schwanz streut. Und so marschierte ich also mit einem Salzstreuer los und wollte einen Hasen finden, das Salz
auf den Schwanz entleeren und ihn meiner Mutter mitbringen. Aber natürlich ließ sich kein Hase davon beeindrucken. Meine Ausbeute war gleich null. Doch ich blieb unermüdlich im Einsatz, bis es meinen Eltern irgendwann zu bunt wurde, denn dass dies nur ein Spruch war, wollte mir überhaupt nicht in den Sinn kommen. Meine Eltern befürchteten also, dass ihr Kleinster schrullig wird, so ganz allein in der Natur. Sie wollten meinen Kontakt zu Gleichaltrigen stärken und beschlossen, mich schon früher als vorgesehen einzuschulen. Ich war für jedes Abenteuer zu haben und hatte nichts dagegen. Dennoch war ich überhaupt nicht unglücklich dort draußen mit der Einsamkeit im Wald. Im Gegenteil waren diese ersten fünf Jahre meines Lebens für mich prägend wie kaum eine andere Zeit. Bis heute empfinde ich mich als großen Individualisten.

Kindheit II – Oder wie ich politisch wurde
    Mein Vater war Verwaltungsjurist und hat die Juristerei, wenn überhaupt, als notwendiges Übel empfunden. Er verstand sich als Vollblutpolitiker, was wir zu Hause leidvoll zu spüren bekamen. Mindestens jeden Sonntag, manchmal auch schon am Samstag gab es den wöchentlichen Einlauf. Beim gemeinsamen Frühstück las mein Vater für alle die Zeitung vor, mit lauter Stimme ging er jeden Artikel durch und dozierte über die Welt, egal, ob man sich dafür nun
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