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Mutproben

Mutproben

Titel: Mutproben
Autoren: Ole von Beust
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Geld als eigenes Produkt versteht und es anlegt, um Zinsen daraus zu schöpfen. Geld hatte sich vom reinen Tauschmittel zum Industrieprodukt mit eigener Wertschöpfungskette entwickelt, was ja auch, wenn man darüber nachdenkt, recht merkwürdig ist. Die Idee also, Geld mit Geld zu verdienen, dem wollten Gesell und die Anhänger der »Freien Sozialen Union« mit einer neuen Finanzpolitik entgegentreten. Mir imponierte das so sehr, dass ich auch ein paar Parteiveranstaltungen
der FSU besuchte. Ich war vielleicht vierzehn oder fünfzehn Jahre alt und marschierte eines Tages also hinüber zur Geschäftsstelle an der Feldstraße auf St. Pauli. Doch meist saßen dort nur ältere Männer herum und so recht konnte ich mich nicht anfreunden. Irgendwann wurde es mir dann einfach zu langweilig. Nichtsdestotrotz: Die Plakate in meinem Zimmer und die darauf abgebildeten Politiker waren die Popstars meiner Jugend. Irgendwann wollte ich mein eigenes Plakat haben.

    Dass mein Vater in die CDU eintrat, war ein Reflex auf die Nazis und das Dritte Reich. Häufig sagte er, dass er sich auch hätte vorstellen können, Sozialdemokrat zu werden. Inhaltlich konnte er vieles nachvollziehen. Vor allem der soziale Aspekt an der Partei beeindruckte ihn sehr. Doch ihm grauste es vor der politischen Symbolik. Die großen Parteitage und das gemeinsame Singen: »Wenn wir schreiten Seit’ an Seit’«, das war ihm zu miefig und zu kleinkariert. Dafür war er zu bürgerlich erzogen worden.
    Meine Eltern hatten uns eine christliche Erziehung mitgegeben, weil sie dachten, es sei besser für uns Kinder, mit dieser Prägung aufzuwachsen. Jeden Abend wurde mit meiner Mutter gebetet, und wenn sie mal nicht kam, dann gingen wir auch nicht ins Bett. Zu Weihnachten besuchten wir alle die Kirche, aber mehr, weil es zum Fest dazugehörte, als aus christlicher Überzeugung. Meine Eltern waren keine gläubigen Menschen. Sie machten es für uns, für die Erziehung. Und deshalb traten sie später auch aus der Kirche aus. Ich behielt
einen christlichen Impetus bei, und meine Eltern machten sich darüber gerne lustig. Noch heute spüre ich eine starke suggestive Kraft, die von der Kirche ausgeht. Wenn ich ein Kreuz sehe, dann löst das etwas in mir aus. Gelegentlich besuche ich einen Gottesdienst oder ich bete. Wenn es mir gut geht, dann bedanke ich mich dafür. Für mich ist es das Gefühl von Grundvertrauen, eine schützende Hand, die über mir ist. Das mag naiv sein. Theologen sagen, das sei die ursprünglichste, also die naivste Form des Glaubens, aber genau so empfinde ich es. Dieses Grundgefühl einer Geborgenheit und einer Dankbarkeit, das habe ich bis heute.
    Aber auch bei mir war es nicht das Christliche, das mich zur CDU trieb. Wie bei meinem Vater war es ein Reflex auf mein Umfeld und auf die damalige Zeit. Was bei meinem Vater die Nazis waren, das wurden für mich die Kommunisten. Der Marxismus war die Ideologie der Stunde, extrem präsent damals. Es war Ende der Sechzigerjahre, Anfang der Siebziger und ich hatte das Gefühl, von Anhängern nur so umzingelt zu sein. Viele Lehrer waren Marxisten, meine Mitschüler ebenfalls, praktisch alle meine Freunde. Nur ich konnte überhaupt nichts anfangen mit dieser Lehre. Ich entwickelte eine regelrechte Antihaltung.

    Vor allem schreckte mich das Deterministische am Marxismus ab. Die Befürworter des Marxismus waren immer der Meinung, der Marxismus selbst sei im Kern eine gute Ideologie, nur sei die Anwendung etwas problematisch gewesen. Dieser Meinung war ich nie. Der Marxismus nach Engels ist
eine menschenverachtende Ideologie. Laut Friedrich Engels lag die wirkliche Einheit der Welt in ihrer Materialität. Es gibt nach dieser Theorie nichts, was nicht eine konkrete Form der Materie, ein bestimmter Zustand, eine Eigenschaft oder das Produkt der Veränderung oder Entwicklung der Materie ist. Der Materialismus bestimmt demnach alles, was um uns und mit uns passiert. Dieser Grundgedanke wird heruntergebrochen auf die gesamte geschichtliche Entwicklung: Vor der Arbeitsteilung gab es die Sklavengesellschaft, wo die Herren die Produktionsmittel hatten und die Sklaven für sie arbeiten mussten. Dann kam der Wandel in die Feudalgesellschaft, in der das Produktionsmittel die Landwirtschaft war. Daraus entstand später dann die Industriegesellschaft und wiederum daraus der Kapitalismus. Hier setzt für den Marxisten der qualitative Sprung ein und der Übergang zur nächsten Stufe – auf den Kapitalismus folgt
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