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Murray,Paul

Murray,Paul

Titel: Murray,Paul
Autoren: Skippy stirbt (Teil 1)
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nur an. »Aha«, sagt sie. Sein ganzer Körper ächzt vor Pein,
innerlich. Er kann doch nichts dafür, er hat das Ding nun mal in der Hand!
Jetzt starrt er auf seine Schuhe, von denen sich wieder einer der Flügel löst,
und wünscht, die Erde würde ihn verschlingen - doch da kommt ihm eine Idee. Er
nimmt umständlich seinen Köcher ab, greift an den Lichtpfeilen vorbei tief
hinein - »Ich hab die hier.« Atemlos hält er ihr das Röhrchen hin.
    »Was
ist denn da drin?«, fragt sie ohne allzu große Begeisterung.
    »Hm,
na ja, Reisetabletten.«
    »Reisetabletten?«
    Skippy
nickt stumm. Sie schaut ihn an, als wollte sie ihn drängen, den Gedanken zu
Ende zu führen. »Aber du fährst doch nirgendwohin«, sagt sie schließlich.
    »Nein,
aber ...« Er will ihr das mit den Pillen erklären, dass sie einen von dort, wo
man ist, wegholen, obwohl man immer noch dort ist; aber es klingt derart blöd,
noch bevor er es sagt, und er gibt auf, erdrückt vom Gewicht seiner eigenen
Dummheit. Sie hat recht, er fährt nirgendwohin. Er hat auf alle Zeit alles
versaut, nie und nimmer wird es ihm gelingen, das aus ihrem Gedächtnis zu
löschen. Jetzt will er nur noch, dass es möglichst schnell vorbei ist. »Nein«,
sagt er.
    Das
Mädchen runzelt die Stirn, wie beim Kopfrechnen. Dann sagt sie: »Was passiert,
wenn man Reisetabletten mit Asthmaspray kombiniert?«
    »Ich
weiß nicht«, sagt Skippy. Sie schaut ihm über die Schulter, und plötzlich
weiten sich ihre Augen und blicken starr. Skippy dreht sich ebenfalls um und
sieht, dass die Eingangstür geöffnet wurde. Er wundert sich, denn ein Blick
auf die Uhr sagt ihm, dass es doch erst viertel vor zehn ist.
    »Das
ist ja total öde hier«, befindet das Mädchen. »Ich mach mich vom Acker.« Bevor
Skippy etwas sagen kann, geht sie weg, und jeder Schritt, den sie macht, ist
ein Schlag mit dem Vorschlaghammer, der sein Herz in winzige Stückchen
zertrümmert. Dann bleibt sie stehen und sagt beiläufig über die Schulter, so
wie man vielleicht mit einem streunenden Hund redet, dem man im Park begegnet
ist: »Kommst du?«
    Aus
irgendeinem Grund fängt er an, irgendwas zu plappern - dass man um Erlaubnis
fragen muss, bevor man geht. Aber sie ist schon durch die halbe Halle.
    »Hey!,
warte!« Er kommt zu sich und läuft ihr nach, holt sie ein, als sie die
Garderobe betritt, und Seite an Seite gehen sie in die Nacht hinaus.
    »Heilige
Scheiße«, sagt Dennis.
    »Dieses
Halloween ist wirklich der Hammer«, sagt Mario. Er überlegt einen Moment.
»Vielleicht stecken diese übernatürlichen Mächte auch hinter dem Rätsel, warum
ich heute bei den Damen kein Glück habe. Wenn ein geborener Loser wie Skippy
bei so einer Zuckerschnecke landen kann, dann weiß man, dass da irgendwas
ganz Abartiges im Gange ist.«
    Unterdessen
drängt sich ein hochgewachsener Schatten durch die Menge. Noch ein Paradox -
dies ist ein Schatten, dem die Leute Platz machen. Er rollt mit den Augen und bleckt
die Zähne, auf seinem Marsch durch die Halle packt er Mädchen, reißt ihnen die
Maske herunter und durchbohrt sie mit seinem Blick, bevor er sie beiseitestößt
- und jetzt hat er eine entdeckt, die tränenüberströmt in die entgegengesetzte
Richtung stampft; ihr voluminöses Kleid rutscht ihr von den Schultern, sodass
es aussieht, als befreie sie sich aus einer riesigen rosa-weißen Qualle. Der
Schatten packt sie am Handgelenk und hält sie fest. »Wo ist deine Freundin?«,
herrscht er sie an. »Lori, wo ist sie?«
    Aber
das Mädchen bricht nur in erneutes Jammergeheul aus. Der Schatten flucht, macht
kehrt und rempelt links und rechts Leute an, obwohl sich ohnehin schon eine
Gasse vor ihm auftut.
     
     
    Howard
und Miss Mclntyre schaffen es nicht bis zum Ende des Songs in die Turnhalle
zurück. Kaum sind sie aus der Tür, stehen sie im Zauberbann der nächtlichen
Fremdartigkeit der Schule. In der tintenschwarzen, schläfrigen Stille
erscheinen die vertrauten Flure wie unterirdische, seit Jahrhunderten nicht
mehr betretene Kammern eines Mausoleums, und Howard muss der Versuchung
widerstehen, schreiend und johlend herumzuhüpfen, um die hallende Stille zu
zerschlagen. Jeder Schritt verspricht, sie weiter auf unbekanntes Terrain zu
führen. Bald ist die Musik nur noch ein fernes Murmeln.
    Schließlich
landen sie im Geografieraum. Über ihnen rollt unentwegt der Donner; es ist, als
befänden sie sich zwischen den Fundamenten eines himmlischen Umsteigebahnhofs,
in den ständig körperlose Lokomotiven hereindröhnen.
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