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Murray,Paul

Murray,Paul

Titel: Murray,Paul
Autoren: Skippy stirbt (Teil 1)
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ändert«, sagt sie. »Geschweige
denn, dass es irgendwann damit vorbei ist. Das ist das Gleiche, wie wenn die
Jungs solche Wahnsinnssachen machen - Sie wissen schon, auf Strommasten
klettern, mit dem Skateboard von drei Meter hohen Mauern springen -, weil sie
sich gar nicht vorstellen können, dass ihnen was passiert. Die denken, das geht
immer so weiter. Und wir auch. Aber nichts geht immer so weiter. Die Zivilisation
hat ein Ende, alles hat ein Ende, das bringen Sie ihnen in Geschichte doch bei,
oder?«
    Sie
spricht so leise, wie man ein Wiegenlied singt. Ihr bestrumpftes Knie ruht an
seinem Oberschenkel. Die Luft scheint Funken zu sprühen.
    »Die
Geschichte lehrt uns, dass die Geschichte uns nichts lehrt«, sagt Howard.
    »Das
spricht nicht gerade für die Geschichtslehrer, oder?«, flüstert sie zu ihm
empor.
    Als
Howard so am Pult vor ihr steht und die leeren Schülerplätze sieht, wird ihm
plötzlich bewusst, dass niemand auf der ganzen Welt weiß, wo sie sind. »Dann
bringen Sie mir was bei«, provoziert er sie sanft. »Bilden Sie mich.«
    Ihre
Augen wandern zur Decke, und sie tut so, als müsste sie angestrengt nachdenken,
dann beugt sie sich vor und sagt in vertraulichem Flüsterton: »Ich glaube
nicht, dass du noch in deine Freundin verliebt bist.«
    Das
tut weh, aber er lächelt weiter. »Kannst du jetzt schon in mein Herz schauen?«
    »Du
bist ein offenes Buch.« Sie streicht mit der Fingerspitze über sein Gesicht.
»Das kann man alles hier sehen.«
    »Vielleicht
kann ich ja auch in dein Herz schauen«, gibt er zurück.
    »Ach
ja? Und was siehst du da?«
    »Da
seh ich, dass du von mir geküsst werden willst.«
    Sie
lacht kokett und schwingt ihre Beine vom Pult. »Stimmt gar nicht.« Sie geht ans
andere Ende des Raums und streicht ihr Kleid glatt. Dann fragt sie im
liebenswürdig-unpersönlichen Ton einer Fernsehinterviewerin: »Warum bist du
eigentlich von der Brokerfirma weggegangen und Lehrer geworden? Hast du plötzlich
das Bedürfnis verspürt, etwas Sinnvolles zu tun? Hat dich das Streben nach
Reichtum enttäuscht?«
    Howard
begreift, dass er durch diesen Reifen springen muss. Er hat einen Fehler
gemacht, und ihr Gespräch, so künstlich es auch sein mag, ist nun der einzig
mögliche Weg zurück zu dem, was ihre Lippen eben noch zu versprechen schienen.
Er lässt sich einen Moment Zeit, um tief Luft zu holen und sich seine Taktik
zurechtzulegen, dann antwortet er, ohne seinen Platz am Pult zu verlassen, im
gleichen angenehm neutralen Ton: »Das Streben nach Reichtum war eher enttäuscht
von mir.«
    »Burn-out«,
sagt sie ausdruckslos.
    Howard
zuckt mit den Schultern. Das Thema, merkt er, ist noch zu heikel für ihn, als
dass er flapsig und ironisch damit umgehen könnte.
    »So
was kommt vor«, fährt sie fort. »Das ist ein stressiger Job, den packt nicht
jeder.«
    »Die
Leute, um deren Geld es ging, haben das nicht so gelassen gesehen.«
    »Nennen
sie dich deshalb Howard Hasenherz?«
    »Nein.«
    »Hat
es was damit zu tun, was im Steinbruch von Dalkey passiert ist?« Ihre Augen
verengen sich raubtierhaft. »Mit dem Bungeesprung? Bei dem dein Freund sich
verletzt hat?«
    Er
lächelt nur.
    »Eigentlich
solltest du springen, stimmt's?« Sie wendet sich ab und fährt im selben
unverbindlichen Interviewton fort. »Der Ruf, den du dir dabei eingehandelt
hast, hat dich verfolgt, du bist in deinem Londoner Job gescheitert, du bist
nach Hause zurück und hast beschlossen, ein ehrenwertes, aber risikofreies
Leben zu führen. Und so bist du Geschichtslehrer geworden.« Sie lehnt sich an
die Tür, und ihre Augen leuchten durch das Dämmerlicht zu ihm herüber. »Da
weißt du immer, wie's ausgeht, da gibt es keine bösen Überraschungen. Das ist,
als würdest du dich in der Kulisse eines Monumentalfilms bewegen, zu dem die
Dreharbeiten schon vor Ewigkeiten eingestellt worden sind.«
    Der
Gedanke schießt ihm durch den Kopf, dass sie ihn womöglich hasst, aber das
wäre ja nicht unbedingt ein Hinderungsgrund für das, was hier gleich passieren
wird. »Es eignet sich eben nicht jeder für jeden Job«, sagt er liebenswürdig.
»Du wolltest mal Lehrerin werden.«
    »Ich
wollte vieles mal werden«, sagt sie. »Aber ich hab nie eine Berufung verspürt.
Lehrer werden, das muss man aktiv wollen. Unternehmensberater werden muss man
nicht aktiv wollen; da verdient man so gut, dass man die Motivation gleich
mitgeliefert bekommt. Das ist viel einfacher.«
    »Und
trotzdem arbeitest du hier.«
    Sie
lacht. »Tja ... Ich hab
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