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Murray,Paul

Murray,Paul

Titel: Murray,Paul
Autoren: Skippy stirbt (Teil 1)
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Xielin schaut
misstrauisch drein, lässt es aber zu, dass Ruprecht ihm Skippy, der
überraschend schwer ist, aus den Armen nimmt und ihn wieder auf den Boden legt.
    Seit Skippys
Sturz vom Stuhl sind vielleicht drei Minuten vergangen, in dieser Zeitspanne
ist seine blauviolette Farbe zu einem gespenstisch zarten Eierschalenblau
verblasst, und sein Keuchen hat sich in ein Wispern verwandelt; auch seine
Zuckungen sind fast vollständig verebbt, und seine Augen sind zwar offen,
blicken aber seltsam leer, sodass sich Ruprecht, obwohl er ihn direkt anschaut,
nicht ganz sicher ist, ob Skippy überhaupt noch bei Bewusstsein ist. Plötzlich
hat er das Gefühl, als schlossen sich zwei kalte Hände um seine Lungenflügel,
als ihm klar wird, was jetzt gleich geschehen wird, obwohl er es andererseits
auch wieder nicht ganz glauben kann - könnte so etwas denn wirklich passieren?
Könnte es wirklich hier passieren, hier in Ed's Doughnut House? Ed's mit seiner
Original-Jukebox, dem Kunstleder und den Schwarz-Weiß-Fotos von Amerika; Ed's
mit seinen Neonröhren, den Plastikgäbelchen und der seltsam sterilen Luft, die
nach Doughnuts riechen müsste, es aber nicht tut; Ed's, wo sie jeden Tag
hingehen, wo nie irgendwas passiert, wo nichts passieren darf, denn deswegen
gehen sie ja hin -
    Eines
der Mädchen in knittrigen Hosen lässt einen Schrei los. »Schaut mal!« Sie wippt
auf den Zehenspitzen auf und ab und sticht mit dem Finger Löcher in die Luft,
und Ruprecht reißt sich aus seiner blöden Erstarrung, schaut nach unten und
sieht, dass Skippy die linke Hand gehoben hat. Erleichterung durchströmt ihn.
    »Na
also!«, schreit er.
    Die
Hand rührt sich, als sei sie gerade aus tiefem Schlaf erwacht, und gleichzeitig
stößt Skippy einen langen, heiseren Seufzer aus.
    »Na
also!«, wiederholt Ruprecht, ohne recht zu wissen, was er damit meint. »Du
schaffst es!«
    Skippy
macht ein gurgelndes Geräusch und blinzelt zu Ruprecht hinauf.
    »Der
Krankenwagen muss jeden Moment hier sein«, sagt Ruprecht zu ihm. »Alles wird
gut.« Gurgel-gurgel, macht Skippy. »Ganz ruhig«, sagt Ruprecht.
    Aber
Skippy ist nicht ruhig, er gurgelt weiter, als wollte er Ruprecht etwas sagen.
Er verdreht hektisch die Augen, starrt zur Decke empor, dann schnellt wie auf
einen plötzlichen Einfall hin seine Hand vor und sucht den gefliesten Boden ab.
Blind tastet sie in der verschütteten Cola und den schmelzenden Eiswürfeln
herum, bis sie auf einen der herabgefallenen Doughnuts stößt; sie packt ihn,
wie eine Spinne, die ungeschickt mit ihrer Beute ringt, und zerdrückt ihn
zwischen den Fingern, immer fester und fester.
    »Ganz
ruhig«, wiederholt Ruprecht und schaut über seine Schulter zum Fenster, ob der
Krankenwagen nicht endlich kommt.
    Aber
Skippy zerdrückt weiter den Doughnut, bis seine Hand ganz mit Himbeersirup
verschmiert ist; dann senkt er eine rot glänzende Fingerspitze und malt eine
geschwungene Linie auf den Boden.
    S
    »Er schreibt«, flüstert jemand.
    Er
schreibt. Quälend langsam - Schweiß tropft von seiner Stirn, der Atem rasselt
wie eine eingeschlossene Murmel in seiner Brust - zeichnet Skippy himbeerrote
Linien auf den Schachbrettboden, eine nach der anderen. A, G - die Lippen der
Zuschauer bewegen sich lautlos, immer wenn ein Buchstabe vollendet ist. Und
während draußen weiter der Verkehr vorbeirauscht, breitet sich im Doughnut
House eine merkwürdige Stille aus, fast so etwas wie heitere Gelassenheit, als
hielte hier drinnen die Zeit den Atem an. Statt dem nächsten zu weichen, wird
der Moment elastisch und dehnt sich aus, um alle Anwesenden zu umfassen, ihnen
die Möglichkeit zu geben, sich auf das vorzubereiten, was nun kommt.
    SAG LORI
    Das
übergewichtige St.-Brigid's-Mädchen in der Nische erbleicht und flüstert ihrer
Begleiterin etwas ins Ohr. Skippy schaut flehentlich zu Ruprecht auf. Ruprecht
räuspert sich, rückt seine Brille zurecht und liest die auf den Fliesen
kristallisierende Botschaft.
    »Sag
Lori?«, sagt er.
    Skippy
verdreht die Augen und krächzt. »Was soll ich ihr sagen?« Skippy keucht.
    »Ich
weiß es nicht!«, brabbelt Ruprecht. »Tut mir leid, ich weiß es nicht!« Er bückt
sich und besieht sich erneut mit zusammengekniffenen Augen die rosa
Buchstaben.
    »Sag
ihr, dass er sie liebt!«, ruft das übergewichtige oder womöglich sogar
schwangere Mädchen in der St.-Brigid's-Uniform. »Du sollst Lori sagen, dass er
sie liebt! Mannomann!«
    »Ich
soll Lori sagen, dass du sie liebst?«, fragt Ruprecht
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