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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul
Autoren: Skippy stirbt (Teil 3)
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Spiegel vor sich durch den Garten gelaufen ist und getan hat, als
würde sie nach oben in die Baumwipfel und den Himmel purzeln. Sie hielt das
Metronom an und setzte sich ein Weilchen aufs Bett, saß einfach nur da. Dann
stand sie auf und ging zu der Kommode mit den Pillen. Was sollte sie jetzt tun?
Da klackerte der Kieselstein gegen das Fenster. Ruprecht! Sie lief zur Tür und
stolperte die Treppe hinunter - Erkälte dich nicht, Lori! Nein! - und raus in
den Garten.
    Aber als sie hinter der Pergola war und Ruprechts Gesicht
sah, schnappte sie überrascht nach Luft. Seine Augen waren total leer, und er
schien noch mehr Gewicht mit sich herumzuschleppen als sonst. Es war, als
hätten sie seit gestern Abend Plätze getauscht - sie fühlte sich leichter, er
war tief in sich selbst versunken. Leise und tonlos sagte er: Es hat nicht
funktioniert.
    Was hat nicht funktioniert?
    Das Experiment. Der Song.
    Oh, sagte sie, ohne recht zu begreifen, wie kann ein Song
denn nicht funktionieren?
    Der Wellenoszillator ist kaputtgegangen. Das Feedback hat
die Lautsprecher zerrissen und das Mischpult lahmgelegt. Wir haben nur dreißig
Prozent von dem Zyklus geschafft. Die Botschaft ist nicht durchgekommen.
    Oh, sagte sie wieder. Und dann, tut mir leid.
    Es war nicht deine Schuld, sagte er. Aber ich hab mir
gedacht, du wolltest vielleicht gern Bescheid wissen.
    Danke, sagte sie. Erst jetzt bemerkte sie den Rucksack auf
seinem Rücken. Willst du irgendwohin?, fragte sie.
    Ich geh weg, sagte er.
    Weg? Er hatte auch eine Schachtel Doughnuts in der Hand.
Wo gehst du denn hin?
    Weiß ich noch nicht genau, sagte er. Vermutlich nach Stanford,
da sitzen sie an ein paar sehr interessanten Arbeiten über Strings. Seine
Stimme klang flach und bleiern, als könnten sie dort seinetwegen auch Seerobben
totknüppeln oder Brownies backen.
    Willst du weg, weil das Experiment schiefgegangen ist? Er
zuckte mit den Schultern. Wie es aussieht, gibt es keinen speziellen Grund zu
bleiben. Was ist mit deinen Freunden?
    Er zuckte wieder mit den Schultern und lächelte ein
Nuklearwinterlächeln; und Lori wurde schaudernd klar, dass hier jemand an
einem furchtbaren Abgrund stand - was immer er über Stanford oder mögliche
andere Ziele sagen mochte, das war ein Plan von jemandem, der aller Hoffnung
beraubt war, der die Zukunft nur noch als ein großes Schild sah, ausgang, das in eine schwarze Leere führte. Sie wusste es,
weil sie es genauso sah, und sie wusste, dass es alles wegen Daniel war, wegen
der Lücke in Ruprechts Welt, die er dort hinterlassen hatte. Aber was tat
Ruprecht dann hier? Was
erwartete er von ihr? Wie sie da in der kalten Nacht neben seinem aufgeblähten
Körper hockte, fühlte sie sich mit einem Mal erschöpft, als ob sein Gewicht
sie nach unten zöge; ein Übelkeit erregender, nach Zwiebeln riechender
Schweißdunst wehte von ihm zu ihr herüber, und mit einer Heftigkeit, die sie
selbst überraschte, wünschte sie sich, er würde gehen! Jemand anderen
belästigen! Sie ihrem Plan überlassen, den Pillen auf ihrem Nachttisch, die zu
den Buchstaben Lorelei angeordnet
waren, die sie wegholen würden, weg weg weg aus der Welt mit ihren endlosen
Problemen.
    Ruprecht musste es gespürt haben; er stand auf und sagte:
Ich zieh dann wohl mal lieber los.
    Okay, sagte sie.
    Aber er ging nicht. Nein, er blieb stehen, und der Wind,
der leere Wind, umwehte sie, seine Tonnen von Wabbelspeck und ihr
Zahnstocherskelett; es erinnerte sie daran, was er über die zwei Universen
gesagt hatte, das eine, das sich ausdehnte, als wollte es nie damit aufhören,
und das andere, das immer mehr zusammenschrumpfte - beide auf der Flucht vor irgendeinem
Schrecken in der Vergangenheit, zwei Hälften von etwas, das einmal ein Ganzes
war, rannten nun, ohne nachzudenken, ohne sich umzusehen, voreinander davon
und in den Tod. Und ihr wurde klar, dass sonst niemand da war. Aus Gründen, die
sie nicht begriff, war Ruprecht heute Abend zu ihr gekommen; und sie war die
Letzte, zu der er käme. Sie war alles, was ihn noch an die Erde band. Wenn sie
ihn losließe, wenn sie durch die dunkle Tür ging, die weit offen vor ihr stand,
dann würde auch er für immer aus der Welt verschwinden.
    Von oben riefen die Pillen nach ihr!
    Und von ferne erhoben die Sirenen, die singenden Mädchen,
ihre Stimme: Lori, Lori!
    Doch sie biss die Zähne zusammen und straffte ihre knochigen
Schultern, und als er auf das hintere Tor zuging, rief sie scharf: Ruprecht!
    Von der Tür Schwester Dingles
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