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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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nur logisch. Briefkastenfirmen, Beteiligungsgesellschaften,
Scheinkonten, das führt mal da hin, mal dort hin, mal nirgendwohin. Spenden an
mysteriöse Wohltätigkeitsorganisationen, Treuhandfonds - du musst dich doch
gefragt haben, Charles, was aus deinem Fonds geworden ist. Nicht mal du kannst
so viel versoffen haben.«
    Ich sagte
nichts. Schließlich stand sie seufzend auf, ging wieder zum Fenster und
stellte sich an die gleiche Stelle neben den Vorhang, wo sie gestanden hatte,
als ich in den Salon gekommen war.
    »Aber für
das Haus spielt das sowieso keine Rolle«, sagte sie. »Das macht auch so seinen
Weg; es wird stärker und stärker werden. Mit den Synergieeffekten und den
Statuen, die sie aufstellen, läuft das. Wie soll man so ein Monster schon
aufhalten können?« Sie schaute mich über die Schulter an. »Jetzt kannst du
Mutter wecken, wenn du willst. Sag ihr, ich bin wieder verrückt geworden.«
    Ich sagte
immer noch nichts, mir ging gerade etwas anderes durch den Kopf. »Aber eins
musst du mir versprechen, Charles. Während ich weg bin, darfst du nicht hierher
zurückkommen, versprich mir das. Auch wenn Mutter dir ein Zimmer anbietet. Die
Sache mit den angemalten Gesichtern hat sie sich ausgemalt, verstehst du?« Sie
runzelte die Stirn und kam auf mich zu. Ich unterdrückte ein Kichern. Ihr war
noch gar nicht aufgefallen, dass neben ihr eine zweite Bel ging. Das Zimmer
fing an, sich langsam zu drehen, und zwar auf gemütlich schaukelnde Weise. »Und
du musst aufhören, dich in wunderschöne Mädchen zu verlieben, von denen du
überhaupt nichts weißt.« Eine ganze Revuegirltruppe aus Bels hob simultan die
Hände und schnippte sich die Ponyfransen aus den Augen. »Eins darfst du nie
vergessen, Charles, jeder Mensch ist zuallererst ein menschliches Wesen, egal
ob schön oder nicht, ob arm oder reich, ob Schauspielerinnen aus den Vierzigern
oder Frank ... Sie sind alle menschliche Wesen, das sind sie als Allererstes,
verstehst du. He, Charles, verstehst du das?«
    Ich nahm
die schimmernde Kaleidoskop-Bel, die sich erwartungsvoll vor meinen Füßen
aufbaute, nur verschwommen wahr. Ich dachte an die Zeit, als sie mit sieben
einen Dokumentarfilm über den Hunger in Äthiopien gesehen und daraufhin
beschlossen hatte, einen Kuchen zu backen und nach Afrika zu schicken.
    »Weißt du
noch, Bel? Keiner war zu Hause, und dann ging die Küche in Flammen auf, und
Vater hat hinterher gesagt ...« Ich brüllte inzwischen vor Lachen. »Er sagt
also, da war die Feuerwehr schon wieder weg, dass er gute Lust hat, diese
verdammten Äthiopier zu fragen, ob sie nicht uns was zu
essen schicken wollten, weil wir uns ja jetzt das Essen sowieso einen Monat
lang ins Haus bringen lassen müssten ...«
    Das
Schimmern hielt kurz inne und sagte dann, dass sie sich erinnere. Die Uhr
schlug irgendwas, und sie sagte, sie hätte jetzt wirklich noch ein paar Sachen
zu erledigen.
    »Ja«,
sagte ich, erhob mich schwankend und sank wieder zurück. »Könntest du mir
vielleicht ... ja, deine Hand, bitte...«
    Sie packte
mich am Handgelenk und zog mich hoch. Als ich auf den Füßen stand, legte sie
sich meinen rechten Arm über die Schulter und umfasste dann mit beiden Armen
fest meine Taille. Auf diese Weise durchquerten wir die Halle. Ihr schmächtiger
Körper stützte meinen ab, balancierte mal nach vorn, mal nach hinten und
fungierte so als Gegengewicht zu meinem wankelmütigen Schwerpunkt. Als wir die
Treppe in Angriff nahmen, bildete ich mir ein, ich hörte irgendwen Holz hacken.
Da Bel schon unter meinem Gewicht schnaufte, ließ ich es unerwähnt.
Wahrscheinlich irgendein vergessenes Gespenst, dachte ich, oder irgendein
Golem, der mit seinen traurigen, schlaflosen Lehmfüßen durchs dunkle Gemäuer
schlurfte.
    Woran ich
mich als Nächstes erinnere, ist, dass wir vor Vaters Arbeitszimmer standen.
»Also dann«, sagte ich in die Richtung, wo ich Bel vermutete.
    »Ja«,
sagte sie.
    »Grüß mir
den alten Tschechow.«
    »Sicher.«
    Bei mir
tat sich plötzlich eine peinliche Lücke auf: Ich wusste, da war etwas
angesprochen, aber nicht aufgelöst worden ... Oder war es etwas gewesen, das
unausgesprochen geblieben war, aber besser ausgesprochen worden wäre? Ich konnte
mich nicht erinnern, also wagte ich einen Schuss ins Blaue: »Wegen der Sache,
über die wir eben geredet haben, also, ob wir vielleicht zusammenziehen und
so, da reden wir dann drüber, wenn du wieder da bist, dann machen wir das fix,
okay?«
    »Sicher«,
sagte Bel wieder. Sie
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