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Muetter ohne Liebe

Muetter ohne Liebe

Titel: Muetter ohne Liebe
Autoren: Gaby Gschwend
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ihrem Sohn. Auch heutzutage stellt die Darstellung einer solchen Szene einen Tabubruch dar und löst auf den ersten Blick häufig befremdete Reaktionen des Betrachters oder der Betrachterin aus.
    2.1  Das Ideal der Mutterliebe
    Wie der Begriff «Mutter» inhaltlich gefüllt ist, geht über persönliche Erfahrungen mit der eigenen Mutter hinaus. Er ist vielmehr Teil einer kollektiven Vision und Vorstellung, die Menschen eines Kulturkreises verbindet. Die Psychologie spricht in diesem Zusammenhang von «Archetypen». Das sind «Urbilder», die uns aus den tiefsten Schichten der Seele heraus, auch jenseits des Verstandes und der bewussten Überzeugungen beeinflussen. Archetypen gehören zum überpersönlichen Teil unseres kulturellen und seelischen Erbes. In unserem Kulturkreis tragen Menschen, ob sie religiös sind oder nicht, das Mutterbild der Madonna in sich. In noch tieferen Schichten unserer Psyche ist aber noch ein anderes, mächtigeres und komplexeres inneres Bild der «Mutter» lebendig, dem wir allerdings bewusst in unserer Kultur keinen Raum mehr geben. Es ist ein archaischeres, vorchristliches Bild des Weiblichen, die psychologische Präsenz der Göttin oder der «Großen Mutter».
    Die religiöse Verehrung der Göttin in ihren verschiedenen Erscheinungsformen geht bis mindestens 10 000 Jahre vor Christus zurück und hatte ihre Blütezeit bis ca. 3000 vor Christus, ehe ihr Bild allmählich von dem männlicher «Himmelsgötter» verdrängt wurde. In alten Mythen und in archäologischen Funden, wie sie vor allem in Südeuropa, aber auch in Afrika, Indien, dem Mittleren Osten und auf den Britischen Inseln gemacht wurden, tritt sie uns in verschiedenen Formen gleichermaßen als Schöpferin, Erhalterin und Zerstörerin von Leben entgegen. Die Große Mutter wurde, anders als die spätere Gestalt der Madonna, nicht nur gütig, sanft und liebevoll dargestellt. In ihr treffen wir auf eine weitaus komplexere und auch ganzheitlichere Sicht des Weiblichen und Mütterlichen. Denn neben ihrer gütigen, Leben spendenden, nährenden, schützenden und unendlich fürsorglichen Seite kann sie sich auch unbarmherzig, versagend, zurückweisend, verbannend und beraubend zeigen. In ihrem dunklen Aspekt kann sie sich, buchstäblich, von ihren Kindern ernähren, das ist auch auf der psychologischen Ebene ein wunderbar anschauliches Bild.
    In unserem heutigen Bewusstsein ist sie nur noch wenig präsent, vielleicht noch in Gestalt der griechischen Gorgo, deren Blick uns vor Schreck erstarren lässt. In Indien wird die Göttin jedoch bis heute in der Gestalt der Kali verehrt. Diese trägt eine Halskette aus menschlichen Köpfen. In einer Hand hält sie ein blutiges Schwert, manchmal auch einen abgeschlagenen Menschenkopf, mit der anderen Hand segnet und tröstet sie ihre Kinder und ist ihnen eine gütige und zärtliche Mutter. Helle und dunkle Aspekte, Leben spendende und zerstörerische sind gleichermaßen präsent und in einer Person vereint – das kann uns dieses Symbol auch über Menschen und Mütter lehren.
    Das Seelenbild der Großen Mutter ist einerseits schrecklicher und mächtiger und andrerseits von einer umfassenderen Güte, als es für Mütter zutrifft, die menschliche Wesen sind. Aber auch menschliche Mütter tragen, psychologisch gesehen, die verschiedenen Aspekte der Göttin in sich, positive wie negative. All diese Aspekte in einer Gesamtheit wahrnehmen zu können hilft, menschliche Erfahrungen zu verstehen und zu durchschauen. In ihren «positiven Aspekten» stimmt das Bild der Göttin in weiten Teilen mit dem der göttlichen Mutter Maria und unseren kulturellen Vorstellungen von Müttern überein. Die «negativen Aspekte», die dunklen, beängstigenden Seiten aber werden abgespalten, verleugnet, tabuisiert. Unsere Wahrnehmung spaltet in mütterliche «Madonnen» und unmütterliche «Hexen», in «gute Mütter» und «böse Stiefmütter», wie wir es schon in den Volksmärchen sahen. Der Muttermythos leugnet die große Spannbreite der Emotionalität und des realen Verhaltensrepertoires von Frauen. Und Mütter schämen sich zutiefst für die Existenz der «dunklen Mutter» in sich oder spalten diese ab. Sie halten sich für krank und nicht normal, wenn sie merken, dass sie ihre Kinder manchmal aus dem Fenster schmeißen könnten. Würden wir auch die mächtigen «dunklen» Facetten des Weiblichen und Mütterlichen in unsere Sicht integrieren, wären unsere Vorstellungen von Mutterliebe sachlicher, ganzheitlicher und
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