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Muenchen - eine Stadt in Biographien

Muenchen - eine Stadt in Biographien

Titel: Muenchen - eine Stadt in Biographien
Autoren: Franziska Sperr
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In der
Reichenbachstraße,
gegenüber der Fleischpflanzl-Wirtschaft mit Hotelzimmern und Sauna, dem bekannten Schwulentreff
Deutsche Eiche
12 ( ▶ E 7 ) , hat Rainer Werner Fassbinder lange gewohnt. Zusammen mit seinem »Clan«, seiner Entourage, seinen Schauspielern, Mitarbeitern und Liebhabern.
    Das war noch in den Zeiten voller Hoffnung, als sie alles zusammen machen wollten, arbeiten, feiern, essen, schlafen, lieben – und träumen von einem Leben »en groupe«, einer Existenz, die sie ausschließlich der Kunst und der Liebe zu widmen gedachten. Ein außergewöhnliches Leben sollte das werden, elitär, arrogant und ein bisschen künstlich, und, ganz wichtig, stets auf der Hut vor der Höllenfahrt in den Trübsinn der Bürgerlichkeit. Das lag damals in der Luft, nicht nur in München.
    Fassbinders Kindheit war geprägt vom Chaos der Nachkriegsjahre. Als er sechs war, ließen sich die Eltern scheiden, er wuchs mal bei der Mutter, mal beim Vater, viel auch bei Verwandten auf. Es war unübersichtlich für ihn als Kind, er habe nie so recht gewusst, wer von den vielen Erwachsenen um ihn herum eigentlich seine Eltern waren, sagte er in einem Interview. Auf die Frage, ob er seine Kindheit als eine gute oder eine schlechte in Erinnerung habe, antwortete er: »Es war eigentlich keine.« Der Vater, ein Arzt, lebte in Köln, die Mutter hielt sich als Übersetzerin in München über Wasser. Später führte sie seine Geschäfte und spielte in vielen seiner Filme mit.
    Dem intelligenten, eigenwilligen Kind wurde früh ein unstetes Leben zugemutet. Während der Inkubationszeit des Heranwachsens, als seine Revolten gegen gut gemeinte Erziehungsmaßnahmen überhandnahmen, soll es in der ganzen Verwandtschaft keinen gegeben haben, der Zeit und Muße gehabt hätte für den begabten, fantasievollen, wenn auch in sich zurückgezogenen Jungen, der Gedichte und kleine Geschichten über die Liebe und die Einsamkeit schrieb. Keiner weit und breit, ihn in seinen Talenten zu bestärken, keiner da, der ihn schützen konnte vor Erfahrungen, denen ein 14 -Jähriger nicht gewachsen sein kann. Zyniker mögen behaupten, dass es genau dieser Mangel an Wärme und Zuwendung war, der ihn sein gehetztes Leben lang zur Höchstleistung trieb, 42  Filme in 17  Jahren, dazu Fernsehen, Hörspiele und die Schauspielerei.
    GIER NACH ERFOLG UND ANERKENNUNG
    Mit 16 schmiss Rainer die Schule, da trug er schon hautenge Hosen und hatte reichlich Erfahrung gesammelt mit Männern, die ihm Geld boten für seine Dienste in den schäbigsten Ecken der Stadt. Er gierte nach Anerkennung, und das Geld, das sie ihm gaben, verschaffte ihm das Gefühl, etwas wert zu sein. Sie begehrten seinen Körper und zahlten – und das war besser als nichts.
    Fassbinder wollte Filme machen. Die Prüfung für die Filmhochschule schaffte er nicht, er ging auf eine private Schauspielschule, doch auch die staatliche Schauspielprüfung bestand er nicht, und an der Aufnahmeprüfung für die neu gegründete Deutsche Film- und Fernsehakademie scheiterte er ebenfalls. Eine Schlappe nach der anderen, die er nach außen hin sportlich wegsteckte. Da war er noch keine 18 .
    Nur, dass er anders leben wollte und künstlerisch arbeiten um jeden Preis, das stand für ihn fest. Er landete schließlich bei der anarchistischen Theatergruppe des
Action-Theaters.
Man verstand sich auf Anhieb: experimentelles, politisches Theater wollte man auf die Bühne bringen, aufrütteln, sich vehement gegen ein »Weiter wie bisher« der Elterngeneration und ihre sitzengebliebene Bürgerlichkeit stemmen. Er wurde schnell ins Ensemble integriert, und weil alle alles machten – spielen, schreiben und inszenieren –, konnte er sich nach kurzer Zeit als Regisseur ausprobieren. Er schrieb die ersten Szenen, und es waren Filmszenen, die späteren Stücke waren Filmdrehbücher, und schon beim Entwurf hatte er den kompletten Film im Kopf: »Ich habe im Theater so inszeniert, als wäre es ein Film, und habe dann die Filme so gedreht, als wär’s Theater.« Bald war er der Kopf der Gruppe, in der man eigentlich vom Mitbestimmen träumte und nicht vom Bestimmtwerden. Er führte Regie, auf der Bühne und in der Gruppe. Sein extrem dominanter Charakter, seine Launen, die Fähigkeit, andere ständig in Unsicherheit zu lassen, welche Rolle sie in seinem Leben spielten, dazu die Entschlossenheit, etwas Neues zu riskieren, alles anders zu machen, halfen ihm dabei, das Feld seiner Dominanz mehr und mehr zu erweitern. Er machte
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