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Mucksmäuschentot

Mucksmäuschentot

Titel: Mucksmäuschentot
Autoren: Gordon Reece
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über meinen Rockbund quoll, meinen Kleinmädchenpony und die Mitesser am Kinn.
    An der Art, wie sie mich anschauten, an ihren vernichtenden Blicken, merkte ich, dass meine besten Freundinnen mich auf einmal abstoßend fanden.
    In der Pause spielten wir nicht mehr zusammen, obwohl ich es gern gemacht hätte, denn sie fanden es kindisch. Stattdessen lungerten sie apathisch hinter einem Klassenzimmer herum, wo die Lehrer sie nicht sehen konnten, spielten mit ihren Handys und verachteten mich, weil ich keins hatte (Mum konnte sich nicht mal ein eigenes leisten, da konnte ich schlecht nach einem für mich fragen). Wenn sie nicht mit ihren Handys spielten, redeten sie ausschließlich über Themen, die mich nicht interessierten – Popmusik, Klamotten, Schmuck, Make-up. Und mehr und mehr auch über Jungs.
    Ich hatte als Einzige keinen Freund. Ich war vierzehn, fast fünfzehn, verstand aber noch nicht, was daran so toll sein sollte. Die meisten Jungen in meiner Schule waren grob und ungehobelt. Sie spielten Fußball wie wahnsinnig und rauften sich im Flur; sie riefen die ganze Zeit Schimpfwörter, um cool zu sein, und machten die Mädchen mit derben sexuellen Anspielungen verlegen. Jahrelang hatten wir keine Jungen gemocht und uns von ihnen ferngehalten. Doch auf einmal hatten Teresa, Emma und Jane Freunde und redeten ständig von ihnen. Sie redeten von ihren Tattoos, den Ausbildungen, die sie machten, den Autos, die sie frisierten, den Verletzungen, die sie bei Schlägereien oder beim Sport erlitten hatten. Am liebsten aber planten sie das Wochenende mit ihren Freunden – welche Filme sie sich ansehen wollten, in welchen Club sie sich schmuggeln wollten, wie sie ihr Haar tragen würden, welche Jeans und welche dazu passende Tasche sie sich kaufen wollten. Am Ende einer Mittagspause merkte ich, dass ich in der ganzen Stunde, die wir miteinander verbracht hatten, kein einziges Wort gesagt hatte.
    Rückblickend ist mir klar, dass ich mich viel früher von ihnen hätte zurückziehen und neue Freundinnen suchen sollen. Ich hätte einfach akzeptieren müssen, dass wir uns auseinandergelebt hatten. Aber damals war die Sache nicht so klar; obwohl ich wusste, dass sich etwas zwischen uns verändert hatte und ich ihre wachsende Feindseligkeit mir gegenüber spürte, begriff ich nicht, wie ernst die Sache war. Schließlich hatten wir uns im Laufe der Jahre immer mal wieder gestritten, doch das war schnell vorbei gewesen. Außerdem konnte ich mir die Schule ohne sie gar nicht vorstellen. Ich hatte keine anderen Freundinnen – ich hatte ja nie welche gebraucht. Ich hatte immer Teresa, Emma und Jane gehabt. Wir waren beste Freundinnen gewesen, seit wir neun Jahre alt waren. Wir hatten einander wie Schwestern geliebt.
Wir waren die JETS .
    Ich hatte keine Ahnung, welches Gift in ihnen schlummerte. Und ich hatte keine Ahnung, in welcher Gefahr ich mich befand.

5
    Das Mobbing begann im März, als wir in der achten Klasse waren. Wir wohnten damals noch im
ehelichen Heim
. Dad hatte uns rund sechs Monate zuvor verlassen, und es sollten noch zehn Monate vergehen, bis wir ins Honeysuckle Cottage zogen.
    Ich habe nie wirklich verstanden, was die Sache ausgelöst hat. Ich weiß noch, dass ich um diese Zeit den Kurzgeschichtenwettbewerb der Schule gewonnen hatte und bei der Morgenversammlung einen kleinen silbernen Pokal bekam. Ich kann mich auch erinnern, dass wir im Sportunterricht gewogen und gemessen wurden und ich das schwerste Mädchen der Klasse war. In jenem März habe ich viel geweint, da am 24 . über den Sorgerechtsantrag meines Dads entschieden wurde. Obwohl Mums Anwalt mir versicherte, dass es nicht so weit kommen würde, fürchtete ich dennoch, dass der Richter mich zu ihm und Zoe schicken könnte. Unsere Klassenlehrerin Miss Briggs wusste von der Scheidung und kümmerte sich damals sehr um mich. Wenn sie merkte, dass ich niedergeschlagen war, legte sie den Arm um mich und ging mit mir ins Büro, wo sie mir bei einer Tasse Pfefferminztee wieder Mut machte. Vielleicht waren die anderen deswegen eifersüchtig, vielleicht auch, weil ich einen wichtigen Preis gewonnen hatte, vielleicht verlor ich auch durch die Tatsache, offiziell das fetteste Mädchen der Klasse zu sein, jegliches Recht, als menschliches Wesen behandelt zu werden … Ich weiß es nicht, ich habe keine Ahnung. Vielleicht folgt die Grausamkeit einer eigenen Logik.
    Es fing langsam an, mit blöden Witzen und abfälligen Bemerkungen, die zuerst noch als Scherz
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