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Mucksmäuschentot

Mucksmäuschentot

Titel: Mucksmäuschentot
Autoren: Gordon Reece
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mich und das Haus – Kochen, Einkaufen, Waschen, Bügeln –, während mein Dad sich bei Everson’s allmählich zum Seniorpartner hinaufarbeitete.
    Als er sie verließ, war sie sechsundvierzig. Ihr juristisches Fachwissen war hoffnungslos veraltet, ihre Zulassung seit vierzehn Jahren nicht erneuert worden.
    Sie fand nur eine Stelle als Rechtsanwaltsgehilfin bei Davis, Goodridge & Blakely, einer Kanzlei in einer der anrüchigen Straßen hinter dem Bahnhof. Die Partner nutzten die Tatsache, dass sie nach so vielen Jahren wieder in den Beruf einsteigen wollte, um ihr ein lächerliches Gehalt anzubieten, und sie nahm es natürlich an. Sie erhielt einen Schreibtisch in einem kleinen Büro, das sie mit zwei Sekretärinnen teilen musste. Damit zeigte man ihr, dass man sie nicht als selbständige Rechtsanwältin, sondern eher als weitere Sekretärin betrachtete.
    Allerdings merkten die Partner schnell, wie fähig sie war, und staunten über das Tempo, in dem sie sich das fehlende Wissen aneignete. Blakely, der schmierige Strafrechtler, lud völlig schamlos einen Teil seiner Mandanten bei ihr ab und benutzte sie als persönliche Assistentin und Mädchen für alles. Davis, der für Personenschäden zuständig war, schob ihr mehr und mehr Problemfälle zu, bei denen er ein hoffnungsloses Chaos angerichtet hatte. Nach einem Jahr bearbeitete Mum einige der schwierigsten Fälle der Kanzlei und bekam dafür weniger Gehalt als die Sekretärinnen.
    Brenda und Sally, mit denen Mum ihr enges Büro teilte, betrachteten ihren Umzug aufs Land als Fehler und sagten das auch ganz offen. »Shelley ist fast sechzehn«, sagte Brenda. »Sie möchte sich doch abends mit ihren Freundinnen in der Stadt treffen –«
    »Das stimmt«, meinte Sally. »Wenn sie wie meine Tochter ist, will sie am Wochenende jeden Abend in die Disco. Du wirst sie die ganze Zeit nur hin und her fahren.«
    Mum versuchte, ihr Privatleben privat zu halten – jedenfalls so weit es möglich war, ohne Brenda und Sally vor den Kopf zu stoßen, die ohne jede Scham die intimsten Geheimnisse ihrer Ehe miteinander teilten.
    Mum wurde rot und murmelte, das mache ihr nichts aus und Shelley werde es sicher nicht ausnutzen. Daraufhin erklang lautes Protestgeschrei:
Du bist einfach zu weich, Elizabeth!
    Brenda und Sally sagten ständig solche Sachen –
Elizabeth, du bist einfach zu nett! Warum lässt du das mit dir machen? Warum setzt du dich nicht einfach mal durch?
Sie bekamen mit, wie sie eine geradezu beleidigende Gehaltserhöhung akzeptierte, wie Davis und die anderen Anwälte ihre Probleme auf ihrem Tisch abluden und sich kaum bedankten, wenn sie sie löste. Sie hatten miterlebt, wie Blakely regelmäßig um fünf vor fünf ankam und verlangte, sie solle länger bleiben oder sich »diese Akte übers Wochenende ansehen«, denn er wusste, dass sie nicht nein sagen konnte. Es verging kaum ein Tag, an dem Brenda oder Sally nicht riefen:
Du bist einfach zu weich, Elizabeth!
    Natürlich erzählte sie ihnen nicht die Wahrheit über mich. Sie erzählte nicht, dass sie mich nicht in die Stadt fahren musste, um Freundinnen zutreffen, weil ich keine Freundinnen hatte. Keine einzige. Sie erzählte ihnen auch nicht, dass ich Opfer einer teuflischen Mobbingkampagne gewesen war, deswegen die Schule verlassen hatte und nun zu Hause unterrichtet wurde. Sie erzählte ihnen auch nicht, dass man der Schule auf Anraten der Polizei meine neue Adresse nicht mitgeteilt hatte, aus Sorge, die betreffenden Mädchen könnten sie herausfinden.

4
    Die betreffenden Mädchen:
Teresa Watson, Emma Townley und Jane Ireson.
    Sie waren meine besten Freundinnen gewesen, seit wir mit neun Jahren in eine Klasse gekommen waren. Wir spielten in jeder Pause zusammen (Seilspringen, Hula-Hoop, Himmel und Hölle, Schwarzer Mann). Wir saßen in jeder Mittagspause zusammen in der Mensa und aßen unser mitgebrachtes Essen. Wir verabredeten uns regelmäßig am Wochenende und in den Sommerferien. Wir waren eine unzertrennliche Clique, ein kleiner Club. Wir gaben uns sogar einen Namen, die JETS  – ein Akronym aus den Anfangsbuchstaben unserer Vornamen.
    Heute ist mir klar, dass die Sache schon lange vor dem Mobbing begonnen hatte.
    Mit elf, zwölf, dreizehn waren wir brave Mädchen. Wir nahmen die Schule ernst – verglichen nach dem wöchentlichen Rechtschreibtest unsere Antworten, malten jede Landkarte hingebungsvoll bunt, als wäre sie die Decke der Sixtinischen Kapelle, telefonierten nach der Schule, um schwierige
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