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Mr. Fire und ich (Band 6)

Mr. Fire und ich (Band 6)

Titel: Mr. Fire und ich (Band 6)
Autoren: Lucy Jones
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der aufrechten Körperhaltung – wie du siehst –“, erklärt er und zeigt dabei auf seinen Stock, „des Gangs, der Sprache und der Schrift! Zittern, ja ganz viel Zittern! Und nicht zuletzt sollte ich schon seit Ewigkeiten tot sein! Die Ärzte haben mich als Versuchskaninchen benutzt, überzeugt, wie sie alle sind, dass ihre Behandlungen etwas bringen! Diese eingebildeten Schnösel! Sie wissen nicht, dass mich in Wirklichkeit die Wut am Leben hält! Und du, Mutter? Wie lebt es sich, nachdem man versucht hat, seinen eigenen Sohn umzubringen? Geht es dir gut? Nicht allzu viele Albträume?“
    Ich muss gestehen, dass ich mir diese Frage auch ständig stelle, seit man mir Jérémies Geschichte erzählt hat.
    „Ich habe nicht versucht, dich zu töten“, sagt sie mit tonloser Stimme.
    „Wie nennst du es dann, einem Kind mitten in der Nacht ein Kopfkissen aufs Gesicht zu drücken?“
    Agathe stößt einen Schrei aus, der nah an einem Stöhnen ist. Auch ich kann angesichts dessen, was Jérémie erlebt haben muss, meine Gefühle nur schwer im Zaum halten. Daniel bleibt gefasst.
    „Daran kannst du dich unmöglich erinnern“, erwidert Diane kalt.
    „Nein, Mutter, nein, sei ganz beruhigt! Aber im Krankenhaus hat man mir diese Geschichte oft genug erzählt. Wie ich an diesem kalten, lieblosen Ort gelandet bin. Da wird geklatscht, getratscht, geredet. Noch bevor ich alt genug war, um zu verstehen, hat man mir erklärt, wo ich herkomme.“
    „Für all das bin ich nicht verantwortlich. Genug mit dem Unsinn!“, brüllt Diane und springt dabei auf.
    Was für ein unglaublicher Leichtsinn!
    Sie will die Waffe an sich reißen, aber Jérémie schießt. Der Knall ist ohrenbetäubend. Die Kugel trifft Diane in die Schulter. Daniels Mutter bricht schreiend zusammen. Eine Sekunde lang herrscht in dem Raum Chaos. Von allen Seiten gellen Schreie, bis ein zweiter Schuss hallt.
    „Ruhe!“, brüllt Jérémie. „Ihr wisst jetzt, dass ich diese Waffe einsetzen werde, ohne zu zögern. Wie ihr sehen könnt“, fügt er mit einem verächtlichen Blick auf seine Mutter hinzu, die zusammengekrümmt zu seinen Füßen kauert, „sind meine Schüsse nicht die präzisesten. Dafür sind sie umso entschlossener. Lasst euch das gesagt sein!“
    Wir rücken alle enger zusammen: Agathe beugt sich hin zu Camille, der nach Jérémies Tat offenbar unter Schock steht. Selbst sie hat jetzt Angst. Vermutlich hatte sie nicht gedacht, dass das „große Wiedersehen“ der Familie so ausarten würde. Daniel streichelt den Rücken seiner Mutter, wagt aber nicht, sie fortzubewegen. Er drückt meine Hand.
    Haydée bleibt weiterhin ein bisschen abseits. Sie holt einen Stuhl, den sie Jérémie anbietet. Er lässt sich hineinfallen, hält uns aber weiterhin im Visier. Er hat wohl genau wie ich verstanden, dass keiner von uns mehr versuchen wird, ihn zu entwaffnen.
    Wie wird das alles enden? Werden wir alle hier sterben?

2. Der Vertraute
    „Monsieur Jérémie, was haben Sie getan?“
    „Ach, das ist ja Ray, der Lakai meines Vaters!“, poltert Jérémie sarkastisch. „Wie nett, dass Sie sich als Gefangener zur Verfügung stellen!“
    „Madame ...“, flüstert Ray, die Augen auf Diane gerichtet. „Monsieur Jérémie, Sie haben sie doch nicht etwa ...“
    „Was geht denn dich das an?“
    Ray scheint zutiefst erschüttert.
    Ist er in Diane verliebt?
    Ohne einen Blick auf die Waffe, die Jérémie auf ihn richtet, stürzt Ray zu Diane.
    „Madame ... Sie müssen es ihm erklären! Sie müssen jetzt alles sagen!“
    „Halten Sie den Mund, Ray“, flüstert Diane mit schmerzverzerrtem Gesicht.
    Er blickt sich um, dann richtet er seine Augen wieder auf sie:
    „Es tut mir leid, Madame.“
    Dann wendet sich Ray an Jérémie:
    „Ich war dabei, als Sie nach der Entbindung nach Hause kamen. Wollen Sie, dass ich Ihnen erzähle, was passiert ist?“
    „Ray, nein!“
    Aber Jérémie wischt den Aufschrei seiner Mutter mit einer Handbewegung beiseite.
    „Nur zu! Es ist allgemein bekannt, dass bei den Reichen die Hausangestellten immer am meisten wissen!“
    Ray nimmt diesen Seitenhieb hin. Er beginnt zu erzählen:
    „Was für eine eigenartige Wende die Dinge nehmen ... Dass nun der Mensch sie bedroht, von dem jedermann denkt, sie habe ihn Jahre zuvor töten wollen ... Als Ihre Mutter nach der Entbindung aus dem Krankenhaus nach Hause kam, schien sie jede Lust am Leben verloren zu haben, Jérémie. Monatelang haben Ihr Vater und ich sie dahinsiechen sehen. Natürlich
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