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Mr. Fire und ich (Band 6)

Mr. Fire und ich (Band 6)

Titel: Mr. Fire und ich (Band 6)
Autoren: Lucy Jones
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anders vorgestellt, das gebe ich zu, aber meinen Bruder weiß ich zu erkennen.“ Daniel bewahrt einen kühlen Kopf. „Ich meine diese Frau.“
    „Haydée? Entschuldige, Bruderherz, wir standen uns nicht nahe genug, als dass ich dich zu meiner Hochzeit eingeladen hätte: Haydée ist meine Frau. Lass mich überlegen ... Aber ja, das macht aus ihr deine Schwägerin!“
    Jérémie gibt ein hysterisches Lachen von sich, das nichts Gutes verheißt. In seiner Hand zittert der Revolver, aber er hält ihn mit entschlossenem Griff.
    Wie gelähmt starre ich auf Daniel. Die drohende Gefahr hat offenbar einen Waffenstillstand zwischen ihm und mir bewirkt. Er winkt mich zu sich heran, aber ich wage nicht, mich von der Stelle zu rühren.
    „Ach, das ist ja die liebe Julia!“
    Ich zucke zusammen.
    Woher kennt er meinen Namen? Was wird Daniel denken?
    „Die neue Errungenschaft meines kleinen Bruders“, fährt Jérémie fort und ahmt dabei mit seinen Fingern Anführungszeichen nach. „Sie sahen reizend aus neulich Abend, als sich dieser junge Gockel wieder einmal in Szene gesetzt hat. Schade nur, dass er Sie links liegen gelassen hat! Sie wären sehr viel interessanter gewesen als er.“
    Diese Frau, die mich an jenem Abend angesprochen hat ... War das Haydée? Das ist gut möglich, jetzt wo ich darüber nachdenke ... Jérémie überwacht also seinen Bruder. Seit wann? Aus welchen Gründen?
    Lauter Fragen, die ich mich ihm nicht zu stellen traue.
    Jérémie wettert weiter gegen mich, die Waffe auf seinen Bruder gerichtet:
    „Ich weiß nicht, was für Absichten Sie dem Kleinen gegenüber haben, aber seien Sie sich im Klaren darüber, dass Sie nur leiden können, wenn Sie in diese Familie eintreten. Er wird Sie für Anschauungszwecke benutzen und Sie mit Geschenken überhäufen, solange Sie seinem Ansehen förderlich sind ... Und sich Ihrer dann schnell entledigen, wenn eine andere vorbeikommt. Und glauben Sie ja nicht, dass die Karten neu gemischt werden, wenn Sie sich ein Kind von ihm machen lassen: Ihr Sprössling wird rausgeworfen, ach was, verstoßen, wenn er nicht dazu passt.“
    Er ist betrunken. Zornig und betrunken.
    Während seiner Monologe hat Jérémie nicht bemerkt, dass Camille sich von hinten angeschlichen hat. Der alte Mann versucht, seinem Sohn die Waffe zu entreißen, hat aber dessen Kraft unterschätzt: Mit einem Schubs bringt Jérémie seinen Vater aus dem Gleichgewicht. Dieser fällt zu Boden, wenige Zentimeter neben seine Exfrau.
    „Du jämmerlicher Idiot“, faucht sie ihn an, Verachtung in der Stimme.
    Als erste Worte an jemanden, den man seit Jahren nicht gesehen hat, ist das ja äußerst nett! Camille ist immerhin der Einzige, der etwas unternommen hat, um uns aus dieser Patsche herauszuholen!
    „Nichts da, alter Mann!“
    Camille sieht seinen Sohn flehend an. Er sagt nichts. Er scheint tiefe Gewissensbisse zu haben. Dabei hat doch Jérémie sein Überleben seinem Vater zu verdanken, wenn ich Ray richtig verstanden habe. Warum springt er dann so mit ihm um?
    „Du möchtest wohl, dass ich „Papa“ zu dir sage? Tut mir leid, das fällt mir ein bisschen schwer. Ein- bis zweimal im Monat hast du mich besucht, als ich in einem Krankenhausbett Höllenqualen litt, und dich soll ich als meinen Vater betrachten? Meine ganze Kindheit habe ich damit verbracht, auf dich zu warten. Warten, dass du dich dazu herablässt, deinen behinderten Sohn mit deiner Anwesenheit zu beehren.“
    „Jérémie, so habe ich dich nie betrachtet! Im Gegenteil! Ich wäre öfter gekommen, aber ich konnte einfach nicht! Sobald es mir meine Arbeit erlaubt hat, bin ich immer sofort zur Insel geeilt!“
    „Oh! Danke, tausend Dank. Danke, dass du bei keiner einzigen meiner Operationen da warst. Kannst du dir vorstellen, wie man sich als Siebenjähriger fühlt, wenn man die Eltern anderer Kinder an ihrer Seite sieht, während sie aufwachen? Diese Einsamkeit, man lernt niemals, damit zu leben.“
    „Ich verstehe, was du gefühlt haben musst ...“
    „Nichts verstehst du!“, brüllt Jérémie, außer sich vor Wut.
    „Du gehst hart mit unserem Vater ins Gericht, Jérémie“, schaltet sich Agathe ein.
    Beinahe hatte ich vergessen, dass sie da ist. Nichts scheint dieser stillen Beobachterin des Dramas, das sich unter ihrem Dach abspielt, Angst einjagen zu können. Ich werde mir bewusst, dass sie diejenige ist, die alle Anwesenden am besten kennt. Sie hat von jedem eine ganz präzise Vorstellung: Als sie ihre Mutter ansieht, ist ihr
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