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Mordwoche (German Edition)

Mordwoche (German Edition)

Titel: Mordwoche (German Edition)
Autoren: Sabine Wierlemann
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hatte sich nach dem Auszug von Frau Haller aus der Schubartstraße Nummer 5 geändert. Hätte die alte Dame ihren Sohn an diesem Morgen in der Küche bei seinem Frühstück sehen können, sie hätte wahrscheinlich sofort ihr Zimmer in der Seniorenresidenz gekündigt und wieder dafür gesorgt, dass ihr Schorsch etwas Vernünftiges zum Frühstücken vorfand, bevor er hinaus in die Welt ging, um die Halunken und Bösewichter ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Aber Frau Haller ahnte nichts von der kulinarischen Verwahrlosung ihres einzigen Kindes und Georg maß dieser ernährungsphysiologischen Frühstücksniete keine weitere Bedeutung bei.
     
    „Ja jetz leck me doch glei am Arsch!“ Georg Haller war von dem aufgeweichten Pizzastück ein dickes Stück des Belags auf sein Hemd getropft. Seine Mutter hatte Flüche mit einem strengen „Georg!“ immer schon im Keim erstickt. Oft pflegte sie dann noch ein altes schwäbisches Sprichwort in abgewandelter Form hinterherzuschieben. „Wer flucht und stiehlt, der kommt in d’ Höll und wird dem Daifele sei G’sell.“ Aber Georg Haller war der Gute, daran änderte auch ein gelegentlicher Fluch nichts. Der Teufel konnte ihm keine Angst mehr einjagen.
    Ein „Braver“ zu sein, Recht und Ordnung zu vertreten, war dem Schorsch irgendwie schon genetisch mitgegeben worden. Auf jeden Fall wollte er immer schon zur Polizei. Gleichzeitig war ihm sehr wohl bewusst, dass nur die „dunkle Seite“ der Schwaben – Mord, Betrug, Diebstahl oder eben auch Falschparken – dafür sorgte, dass er sein monatliches Auskommen hatte. Kürzlich war er nachts aus einem Traum aufgeschreckt. Darin hatte ihm der Polizeipräsident in Engelsgestalt mit Flügeln und Heiligenschein höchstpersönlich verkündet, dass nun alle Kriminalfälle in Schwaben aufgeklärt seien. Er dankte ihm feierlich für seine Dienste und teilte ihm mit, dass diese nun allerdings nicht weiter benötigt würden. Bei aller Liebe zu Recht und Ordnung, das ging Georg Haller dann doch zu weit. Er war froh, als er wieder aufgewacht war. Zum Glück konnte er sich auf seine Schwaben verlassen! Arbeitslos würde er so schnell nicht werden.
     
    Georg sah auf sein fleckiges Hemd, an dem noch Reste des Pizzabelags klebten. So konnte er unmöglich zur Arbeit gehen! Georg ging ins Schlafzimmer, um sich umzuziehen. Seine Garderobe hing ganz links im Schrank, sie nahm nicht viel Platz ein. Rechts hingen ordentlich gebügelt noch die Hemden seines Vaters, Polyester-Schätzchen aus den 70ern und Hosen mit Schlag. Seine Mutter hatte es nicht übers Herz gebracht, die Kleidung ihres Mannes nach dessen Tod wegzugeben. Da war sie ganz schwäbische Hausfrau, die darauf hoffte, dass ihr damals dreijähriger Sohn irgendwann einmal das Erbe seines Vaters auftragen würde. Georg ließ die Sachen hängen, weil sie immer schon da hingen. Insgeheim spürte er aber, dass die Zeit der Trennung bald kommen würde. Heute allerdings retteten ihn die Hemden seines Vaters, denn auf seiner Hälfte des Schranks fanden sich nur noch sein Trainingsanzug sowie ein Bademantel. Die restlichen Uniformhemden waren auf der Wäscheleine beziehungsweise bei Frau Schäufele. Die wohnte schräg unter Georg Haller und hatte nach dem Auszug seiner Mutter angeboten, seine Hemden zu bügeln. Auch wenn sie kein Geld für diesen Dienst wollte und sich anfangs mit Händen und Füßen gewehrt hatte, als Georg ihr beim Abholen der gebügelten Wäsche die Arbeit bezahlen wollte, blieb Georg hartnäckig. Er wollte nichts geschenkt. Er wollte vor allem keine neuen Verpflichtungen. Die Kaffeekränzchen und das Kartenspielen im Seniorenkreis hatten ihm gereicht. Frau Schäufeles Weigerungen fielen auch von Mal zu Mal schwächer aus und mittlerweile schätzte sie wohl die Möglichkeit, ihr Haushaltsgeld, das ihr von ihrem Mann wöchentlich in bar ausgezahlt wurde, unter der Hand etwas aufzubessern. Jetzt war es allerdings noch zu früh um bei den Schäufeles zu klingeln und Georg musste los. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als das kleinste Übel aus dem textilen Vermächtnis seines Vaters auszuwählen, wenn er nicht mit seinem verkleckerten Hemd im Dienst erscheinen wollte. Raus aus dem Quattro stagioni und rein in einen Traum aus 100% Polyester. „So ein Scheiß!“
     
    Im Hausflur empfing Georg Haller der gleiche Geruch wie in den letzten fünfundvierzig Jahren. Wahrscheinlich wurden die Duftnoten von Mehrfamilienhäusern in mühsamer Kleinarbeit von den besten
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