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Mordwoche (German Edition)

Mordwoche (German Edition)

Titel: Mordwoche (German Edition)
Autoren: Sabine Wierlemann
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aus dem Elternschlafzimmer zu entsorgen. Die gediegenen Buchenmöbel entsprachen eigentlich nicht seinem Einrichtungsgeschmack, aber Mutti war schließlich eben erst ausgezogen. Der Sohn hätte es pietätlos gefunden, gleich die ganze Wohnung anders einzurichten. Und so wurde Hauptkommissar Haller auch an diesem Montagmorgen im Schlafzimmer seiner Eltern wach, im „Gräbele“.
     
    Er brauchte kein Licht zu machen, den Weg ins Badezimmer fand er auch mit geschlossenen Augen. Das Badezimmer versprühte noch den Charme der sechziger Jahre, lila Fliesen und hochflorige weiße Frotteevorleger vor Badewanne und Waschbecken. Sogar der Toilettendeckel war mit einem passenden Überzug versehen. Georg Haller kannte es nicht anders, so hatte das Bad schon immer ausgesehen. Er klappte den Toilettendeckel hoch und wollte sich gerade auf die Brille setzen, als er innehielt. Kopfschüttelnd stand er auf, klappte auch die Brille noch hoch und erleichterte sich im Stehen. Aus alter Gewohnheit und weil Mutti das Steh-Pinkeln als Angriff auf ihr stets blitzblank geputztes Klo verstand, setzte sich Georg auch jetzt noch oft hin. Jetzt wohnte Mutti aber im Heim und sah ihn nicht. Er konnte also tun und lassen, was er wollte. Er führte jetzt einen richtigen Männerhaushalt und dort kam Sitz-Pinkeln nicht in Frage. Zufrieden erledigte Georg den überschaubaren Rest seiner Morgentoilette; er beschränkte sich auf das Notwendigste und Unvermeidbare, alles andere war in seinen Augen Zeitverschwendung.
    Hätte er sich ein wenig genauer im Badezimmerspiegel betrachtet, dann hätte Georg einen durchaus attraktiven Mann gesehen. Die kurzen braunen Haare wurden an den Schläfen schon ein wenig grau, ansonsten waren sie aber voller als bei den meisten seiner Altersgenossen. Aber diese Äußerlichkeiten interessierten Georg Haller nicht. Er hatte zwar schon einmal den Versuch unternommen, seinem Körper mehr Aufmerksamkeit zu schenken, weil er hoffte, dadurch seine Chancen beim weiblichen Geschlecht zu erhöhen allerdings verliefen diese Bemühungen schnell im Sande.
    Bei einem Besuch in der Filiale einer großen Parfümerie-Kette fühlte er sich, als sei er auf einem fremden Planeten gelandet. Die Verkäuferinnen, alle in weiß gekleidet und perfekt geschminkt, erkannten auf den ersten Blick, dass hier grundlegend Entwicklungshilfe geleistet werden musste. Drei gutaussehende freundliche Damen bemühten sich um den Hauptkommissar, der sich kaum, dass er sich’s versah, unter einer Gesichtsmaske für den anspruchsvollen Mann von heute wiederfand. Gleichzeitig bekam er eine Maniküre und eine der Damen, die ihm so nahe kam, dass er ihren Busen an seiner Schulter spüren konnte, entfernte ihm die wildwachsenden Haare aus seinen Ohren. Georg Haller fügte sich willig in sein Schicksal, schließlich hatte er eine Mission. Er suchte eine Frau.
    Seine Mutter meinte auch, dass es in seinem Alter höchste Zeit sei, sich endlich mal nach einer Freundin umzusehen. Sie gab sich selbst auch ein wenig die Schuld daran, dass es bei ihrem Sohn mit den Frauen bislang noch nicht so geklappt hatte. Und deshalb verkündete sie ihm vor einem dreiviertel Jahr, dass sie sich entschlossen habe, ins Altersheim zu ziehen. Den Antrag habe sie bereits vor ein paar Monaten gestellt und jetzt sei ein Platz frei geworden. Ihrem überraschten Sohn erklärte Frau Haller, dass sie sich in ihrem jetzigen Alter durchaus noch zutraue, sich an eine neue Umgebung zu gewöhnen. Später sei es vielleicht zu spät. Und außerdem wolle sie nicht Schuld daran sein, wenn ihr Sohn keine Frau bekäme. Denn welche Frau würde sich nach dem ersten überhaupt noch einen zweiten Blick erlauben, wenn sie erführe, dass der ins Auge Gefasste noch bei Muttern wohne? Der Plan stand fest. Frau Haller zog ins Gertrudenstift, in die Innenstadt von Bärlingen.
     
    Georg Haller begann seinen Dienst auf der Polizeischule in Oberschwaben und trat seine erste Stelle in Baden an, was für seine Mama schlimmer war, als wenn er sich bei der Sitte in der Hamburger Herbertstraße beworben hätte. Sie hatte sich immer gewünscht, dass ihr Sohn eine Freundin mit nach Hause brächte, aber eine Badnerin sollte es nicht unbedingt sein. Georg Hallers eigentümliche Hemmungen Frauen gegenüber blieben aber auch im etwas leichtlebigeren Baden bestehen, sodass er dort im Wesentlichen auch nur seiner Arbeit nachging. Allerdings war er hier frei und glücklich. Der Gedanke, zurück nach Bärlingen zu müssen, war ihm
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