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Mordwoche (German Edition)

Mordwoche (German Edition)

Titel: Mordwoche (German Edition)
Autoren: Sabine Wierlemann
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unbehaglich. Aber was blieb ihm anderes übrig? Schließlich kamen zwei Dinge zusammen, die ihn wieder zurück ins Schwäbische führen sollten. Seine Mutter wurde krank. Nur so lange allerdings, bis ihr Schorschl wieder im „Ländle“ war. Und außerdem war die Stelle eines Hauptkommissars ausgeschrieben. Seine Mutter meinte nur, das sei doch was für ihn. Jetzt war er also wieder hier. Festbetoniert in seiner Heimatstadt Bärlingen, in der er mehr über die Leute wusste, als ihm oftmals lieb war.
     
    Georg rasierte sich sorgfältig, denn er war sich bewusst, dass er für die Menschen im Ort Recht und Gesetz symbolisierte und es war selbstverständlich für ihn, dass dazu nur ein akkurates Äußeres passen konnte. Rasieren, waschen, gut. Keine Lotion, kein Duftwässerchen oder irgendwelcher Wellness-Schnickschnack. Die Produkte, die er sich von den gutriechenden Verkäuferinnen in der Parfümerie hatte aufschwatzen lassen, standen noch unbenutzt im Spiegelschrank und verstaubten langsam. Die Frau, die er sich vorstellte, würde ihn auch ohne diese Schönheitsmittelchen nehmen. Schließlich zählten auch noch die inneren Werte und als er sich die Haare kämmte, dachte Georg, dass er als Beamter in den heutigen Krisenzeiten auch gar keine so schlechte Partie sei.
     
    Nach dem Auszug seiner Mutter musste sich Georg erst einmal an die neue Situation gewöhnen. Plötzlich war er allein, niemand klapperte in der Küche mit den Töpfen. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann vermisste er das fröhliche Pfeifen und Singen seiner Mutter und den sonntäglichen Schweinebraten. Jetzt kam er abends in eine dunkle Wohnung zurück und niemand fragte ihn, wie sein Tag gewesen sei. Georg musste sich seine Schlafanzüge jetzt selbst kaufen und schauen, wie er seine Hemden gebügelt bekam. Dafür konnte er aber auch das Fernsehprogramm frei wählen und in angenehmer Zimmerlautstärke ansehen.
    Georg Haller war zwar einsam, allein war er allerdings nicht. Nicht in der Schubartstraße Nummer 5. Die allesamt älteren Bewohner des Mehrfamilienhauses nahmen großen Anteil am Auszug seiner Mutter. Georg kannte sie alle, seit er denken konnte. Er war in diesem Haus groß geworden. Besonders die älteren Damen wollten den Hauptkommissar über den Verlust der Mutter hinwegtrösten. So erhielt er Einladungen zum Sonntagskaffee und zu Binokel-Abenden, die er aus Höflichkeit auch alle annahm.
    Die Damen sollten nicht glauben, dass jetzt - wo seine Mutti nicht mehr da war - der Schlendrian bei ihm einriss. Regelmäßig hängte er deshalb seine Wäsche ganz demonstrativ zum Trocknen auf den Balkon. Alle sollten sehen, dass Frau Haller ihrem Jungen beigebracht hatte, wie man einen Haushalt zu führen habe. Nach etlichen Kaffeekränzchen und Spieleabenden reichten Georg Haller allerdings die mitleidigen Blicke der alten Hausbewohnerinnen und ihr ständiges: „Du armer Junge, bist jetzt so allein in der Wohnung“. Er konnte es nicht mehr hören! „Meine Mutti ist nicht tot, sie ist nur im Heim.“ Die Einladungen wurden weniger. Die Damen hatten verstanden. Der Junge war offensichtlich schon groß genug, er kam allein zurecht. In ihren Augen blieb Georg Haller allerdings Vollwaise und sie fühlten sich nach wie vor für sein Wohl verantwortlich. So fand der Hauptkommissar immer wieder ein vorgekochtes und sorgfältig eingetuppertes Abendessen vor der Wohnungstür, wenn er von der Arbeit heimkam. Über die Brötchen, die am Samstag öfter in einer Tüte an seiner Tür hingen, freute er sich besonders. Den regelmäßigen Einkauf hatte er nach dem Auszug seiner Mutter nämlich noch nicht in seine Alltagsroutine aufgenommen und so fristete sein Kühlschrank eher eine Randexistenz.
    Auch heute M orgen war das Angebot darin ernüchternd. Die Reste des Aufschnitts rollten sich vom Rand her ein und die Marmelade hatte bereits einen dicken Schimmelpelz angesetzt. Vielleicht lag ein Care-Paket vor der Wohnungstür? Georg Haller öffnete die Tür einen kleinen Spalt. Leider Pech gehabt! Der Hauptkommissar setzte sich an den Küchentisch, auf dem in der Schachtel noch die Reste der Pizza von gestern lagen, Quattro stagioni aus dem Venezia . Adriano machte einfach die besten Pizzen der Stadt. Das musste dann eben heute Morgen reichen. Georg Haller spülte die kalte Pizza mit ein paar Schlucken abgestandenem Spezi herunter. Seine Mutter fand die Mischung aus Orangenlimonade und Cola widerlich, bei ihr kam nur naturtrübe Apfelschorle ins Glas. Auch das
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