Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mordswald - Hamburgkrimi

Mordswald - Hamburgkrimi

Titel: Mordswald - Hamburgkrimi
Autoren: M. C. Poets
Vom Netzwerk:
an einer Bäckerei an, damit Lina sich einen Kaffee
holen konnte. Er selbst wollte einen Orangensaft, was Lina ihr Lebtag nicht
verstehen würde. Seit zwei Jahren waren sie Kollegen, und noch nie hatte sie
ihn etwas anderes als Saft, Tee oder Mineralwasser mit wenig Kohlensäure
trinken sehen. Als sie am Tresen wartete, warf sie einen Blick in den Spiegel
an der Wand dahinter: verstrubbeltes, kurzes Haar, dunkle Ringe unter den Augen
und ein zerknittertes T-Shirt. Sie hatte zu wenig Schlaf bekommen, wie meistens
nach dem Training, und sechs Uhr morgens war noch nie ihre Zeit gewesen.
Früher, als sie noch bei der Sitte gearbeitet hatte, hatten die Arbeitszeiten
ihr besser in den Kram gepasst. Sie wandte den Blick ab, nahm Kaffee und Saft
entgegen und ging zurück zum Wagen.
    Max fuhr, während sie ihren heißen schwarzen Kaffee schlürfte
und spürte, wie ihre Lebensgeister langsam erwachten. Keiner von ihnen sagte
etwas, dazu war es zu früh am Tag und zu früh nach dem Fund der Leiche. Sie
ließen sich Zeit, denn keiner von ihnen mochte daran denken, was sie bei der
angegebenen Adresse erwartete. Die Zahl der Singlehaushalte nahm zwar immer
mehr zu, aber auf so viel Glück wollten sie nicht hoffen.
    "Keine üble Gegend", sagte sie, als sie sich der
Wohnung des Verstorbenen näherten. Hamburg Rothenbaum, direkt an der Alster
gelegen, war eine der besten Adressen der Stadt. Wer hier in einem der noblen
Jugendstilhäuser wohnte, musste außerordentlich gut verdienen. Oder aus einer
reichen Familie stammen, womöglich aus dem Geldadel der Stadt. Das Haus, in dem
Philip Birkner gewohnt hatte, entpuppte sich als etwas schlichtere Ausgabe der
Prunkbauten ringsherum, war jedoch mit der Stuckfassade und den großen, hohen
Fenstern immer noch ganz ansehnlich. Auf dem Klingelschild stand neben dem
Namen Philip Birkner ein zweiter: Katja Ansmann. Max und Lina sahen sich an.
    Sie klingelten, und der Summer ertönte. Als sie sich der Wohnung
im ersten Stock näherten, hörten sie das leise Weinen eines Kindes.  
    "Scheiße", sagte Lina.
    Die Frau, die sie an der offenen Wohnungstür erwartete, war
schön. Das war das Erste, das Lina an ihr auffiel. Schlank, hochgewachsen, hohe
Wangenknochen, blonde, schulterlange Haare. Eine Klassefrau, die in einem
Kostüm vermutlich aussah, als sei sie darin zur Welt gekommen. Jetzt trug sie
allerdings einen Morgenmantel und schien gerade aus der Dusche zu kommen. Auf
dem Arm trug sie ein kleines Kind, das schlaftrunken den Kopf in ihre Halsbeuge
schmiegte.
    "Frau Ansmann?", fragte Max. Die Frau musterte erst
ihn und dann Lina. Diese kam sich vor, als stünde sie zum Verkauf und fände in
den Augen der potenziellen Käuferin nur wenig Gefallen. Max zückte seinen Dienstausweis,
und Lina tat es ihm gleich.
    "Dürfen wir einen Moment hereinkommen?"
    "Ich weiß nicht … ich muss Leon zum Kindergarten bringen
und danach sofort ins Büro … ich habe heute einen wichtigen Kundentermin."
Doch etwas an Max' Blick schien ihr zu sagen, dass es Wichtigeres gab als
Kundentermine. Sie seufzte, als würde sie den Kripobeamten nur widerwillig
diesen Gefallen erweisen. "Also gut, kommen Sie herein. Aber ich habe
nicht viel Zeit."
    "Es tut mir leid, aber ich fürchte, es wird eine Weile
dauern", sagte Max behutsam. Die Frau hielt noch immer seinen
Dienstausweis in der Hand. Max hasste diese Momente, hasste den Augenblick,
wenn er in den Augen seines Gegenübers das Begreifen sah, warum er hier war.
    Frau Ansmann warf einen zweiten Blick auf den Ausweis und
schluckte. Ohne ein Wort drückte sie das Kind enger an sich, bat Max und Lina
herein und schloss die Wohnungstür. Schweigend ging sie durch den breiten Flur
voran ins Wohnzimmer und deutete stumm auf die Sessel. Sie selbst nahm auf dem
Sofa Platz, den Jungen immer noch auf dem Arm. Er hatte einen Daumen in den
Mund gesteckt und schien nahe daran, wieder einzuschlafen.
    "Frau Ansmann", sagte Max leise, "ich nehme
an, Herr Birkner ist Ihr Lebensgefährte?"
    Die Frau nickte, ohne den Blick von ihm abzuwenden.
    "Ich habe eine schlechte Nachricht für Sie."
    Dass das Kind dabei war, machte die Sache natürlich nicht
leichter. Lina brauchte nicht zu fragen, ob Philip Birkner der Vater des Kindes
war, denn sie hatte längst die Bilder gesehen, die übergroß an den Wänden
hingen: die Frau und Philip, die Frau mit Leon, Leon und Philip, alle drei
zusammen. Schwarz-Weiß-Fotografien, Profiaufnahmen, die wenig mit der üblichen
Familienalbenidylle zu tun
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher