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Mordsfreunde

Titel: Mordsfreunde
Autoren: Nele Neuhaus
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Unterton. »Wie soll er denn das nach einem tödlichen Fahrradunfall wohl selber fertiggebracht haben?«
    Pia und Ronnie wechselten einen vielsagenden Blick. Jeder von ihnen hatte früher gelegentlich unbedarfte Fragen gestellt und dafür bissige Kommentare einstecken müssen. Henning Kirchhoff war ein brillanter Rechtsmediziner, aber ein wenigumgänglicher Mensch. Staatsanwältin Löblich ließ sich allerdings nicht so leicht beeindrucken.
    »Ich hatte nicht gefragt, ob er beim Sturz vom Fahrrad gestorben ist«, erwiderte sie unbeirrt, »sondern nur, ob er gestürzt sein könnte.«
    Dr. Henning Kirchhoff blickte auf.
    »Stimmt«, erkannte er an. »Er ist nicht gestürzt, sonst hätte er Abschürfungen an den Fingerknöcheln und den unteren Gliedmaßen. Hat er aber nicht.«
    »Danke. Sehr freundlich, Herr Dr. Kirchhoff.«
    Pia beobachtete, wie Henning den Brustkorb der Leiche geschickt und rasch mit einem Y-Schnitt öffnete, die Rippen mit der Rippenschere durchzwickte, um an die inneren Organe zu gelangen. Sie kannte den Ablauf, der einem strengen Protokoll folgte. Jeden seiner Handgriffe und jeden Befund sprach Henning in das Mikrophon, das er um den Hals trug. Die Sekretärin würde später den Obduktionsbericht nach Band abtippen. Ronnie wog und vermaß die entnommenen Organe, notierte jeden festgestellten Wert.
    »Steatosis hepatis – und das als Vegetarier«, stellte Henning fest und hielt der Staatsanwältin das Organ mit einem spöttischen Lächeln unter die Nase. »Wissen Sie, was das heißt?«
    »Fettleber«, Staatsanwältin Löblich lächelte ungerührt. »Geben Sie sich keine Mühe, Dr. Kirchhoff. Ich werde Ihnen nicht die Freude machen, in Ohnmacht zu fallen.«
    Mit einer Lupe begutachtete der Rechtsmediziner jeden Millimeter des sorgfältig rasierten Schädels, zog mit der Pinzette winzige Partikel aus der Wunde und legte sie für die Untersuchung im Labor in Plastikbecher, die Ronnie augenblicklich beschriftete.
    »Man hat ihm mit einem stumpfen Gegenstand den Schädel eingeschlagen«, sagte er schließlich. »In der Wunde ander Schädelvorderseite finden sich Spuren von Metall und Rost. Die hintere Wunde stammt vom Sturz.«
    Mit seinem Skalpell machte er einen Schnitt in die Haut der hinteren Schädelhälfte, zog die Kopfhaut nach vorne über das Gesicht des Toten und untersuchte die Schädelknochen.
    »Wir haben hier ein ganz charakteristisches Bild von zwei Bruchsystemen«, kommentierte Kirchhoff. »Zuerst erfolgte der Schlag, dann der Bruch des Schädelknochens durch den Sturz.«
    »Ist das schon tödlich?«, wagte Pia zu fragen.
    »Nicht unbedingt«, Kirchhoff griff zur elektrischen Säge, mit der er den Schädelknochen öffnete. »Häufig kommt es nach Verletzungen dieser Art zu interkraniellen Blutungen, es entwickelt sich eine fortschreitende Hirnschwellung. Der zunehmende Hirndruck führt zu einer Atemlähmung, dann zum Kreislaufstillstand und infolgedessen zum klinischen Tod. Das kann relativ schnell gehen oder Stunden dauern.«
    »Das bedeutet, dass er noch eine ganze Weile gelebt haben kann.«
    Henning nahm das Gehirn aus der Schädelhöhle, betrachtete es kritisch und zerschnitt es in schmale Scheiben.
    »Keine Blutungen«, sagte er schließlich, reichte das Gehirn an Ronnie weiter, beugte sich vor und untersuchte den Schädel von innen. Dann drehte er den Kopf der Leiche zur Seite, ging zum Leuchtkasten hinüber und studierte noch einmal die Röntgenbilder.
    »Bei ihm ist es schnell gegangen«, sagte er schließlich. »Durch den Sturz ist die Halswirbelsäule von der Schädelbasis abgerissen und gebrochen. Er war sofort tot.«
     
    Die Beamten von der Spurensicherung arbeiteten gerade in der Küche und im Arbeitszimmer, als Esther Schmitt bereit war, einige Fragen zu beantworten. Es erschien Bodensteinimmer unfair, Menschen zu befragen, die gerade einen schmerzlichen Verlust erlitten hatten und noch unter Schock standen, aber aus langer Erfahrung wusste er, dass er bei diesen ersten Gesprächen das meiste erfuhr.
    »Wo haben Sie Ulli gefunden?«, fragte Esther Schmitt.
    »In der Nähe des Opel-Zoos in Kronberg«, erwiderte Bodenstein und sah, wie sich die Augen der Frau ungläubig weiteten.
    »Am Opel-Zoo? Dann hat sicher dieser Zoodirektor etwas damit zu tun! Er hat Ulli gehasst, weil der ihm immer wieder unter die Nase gerieben hat, was für eine Tierquälerei die Zootierhaltung ist. Vor ein paar Wochen hat dieser Kerl mich beinahe überfahren, mit voller Absicht!«, sagte sie grimmig.
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