Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mordloch

Mordloch

Titel: Mordloch
Autoren: M Bomm
Vom Netzwerk:
Zustand bemerkt hatte. Sie musste doch verändert sein. Sie war gereizt, nervös, unzufrieden – und dachte nur an ihn, an den vermeintlichen Traummann, auf den sie ein halbes Leben lang gewartet hatte. Nun war er da – und doch unerreichbar. Denn beide waren sie verheiratet. Sie hatte sich aber vorgenommen, alles daran zu setzen, ihn zu bekommen. Diese Chance, das spürte sie, würde ihr das Leben kein zweites Mal mehr bieten.
    Es war kalt in der Wohnung. Die groß gewachsene Frau, deren auffallend blondes Haar bis zur Schulter reichte, fröstelte, als sie nackt aus dem Ehebett kroch, die Lampe auf dem kleinen Schränkchen anknipste und sich ihren Morgenmantel überstreifte.
    Sie holte tief Luft und ging in das kleine Büro hinüber, das sie sich in dem schmucken Einfamilienhäuschen eingerichtet hatte. Von diesem winzigen Zimmer aus erledigte sie ihre Geschäfte. Die Wand auf der rechten Seite wurde von drei übereinander angebrachten Regalen beherrscht, deren Bretter sich unter der Last von Aktenordnern und Büchern bogen. Im Laufe der Zeit hatte sie eine umfangreiche Literatur über internationales Wirtschaftsrecht und zu den Gepflogenheiten im Ex- und Import zusammengetragen.
    Der Schreibtisch war vor das Fenster gerückt, der Rollladen geschlossen.
    Gerade als sich die Frau in den schwarzen Schreibtischsessel fallen lassen wollte, schien es ihr, als habe sie ein Geräusch vernommen. Etwas, das nicht zu der Stille dieses Wohngebiets passen wollte. Sie verharrte in der Bewegung, weil sie für einen kurzen Moment befürchtete, ihr Mann käme heim. Doch offenbar hatte sie nur den Motor eines vorbeifahrenden Autos gehört. Vielleicht der junge Nachbar, der in den Samstagnächten stets lange fortzubleiben pflegte, dachte sie. Ihr Blick streifte dabei die gerahmten Bilder, die der Wand auf der linken Zimmerseite Farbtupfer verliehen. Es waren Ansichten von Istanbul, darunter die weltberühmte Hagia-Sophia-Moschee und die Meerenge am Bosporus.
    Die Frau setzte sich in den Bürosessel, schloss sehnsuchtsvoll die Augen und griff zu der Computer-Maus, mit der sie den schwarzen Bildschirm zum Leben erweckte. Sie spürte unter dem Morgenmantel die Kälte um ihre nackten Beine streichen. Wie traumhaft, so dachte sie, wäre jetzt die Nähe und Wärme dieses Mannes gewesen.
    Sie klickte eine neue Nachricht an und tippte im Zehn-Finger-System in Windeseile die Empfängeradresse ein. »Geliebter Traummann«, schrieb sie, »seit Stunden liege ich wach und habe nur einen einzigen Gedanken: Dich. Wieder beginnt ein neuer Tag und ich spüre, wie die Zeit verrinnt, ohne dass wir sie genießen können. Weißt Du, wie qualvoll der Gedanke ist, Dich im Bett bei Deiner Frau zu wissen, obwohl wir beide doch wissen, dass wir zusammengehören?« Sie brach ab. Trotz der Tastengeräusche und des Computergebläses hatte sie wieder ein Geräusch vernommen. Es kam von draußen und es hörte sich so an, als sei erneut ein Auto hergefahren. Sie musste vorsichtig sein. Denn falls ihr Mann auftauchte, würde sie sofort das angefangene E-Mail wegdrücken, den Bildschirm abschalten und so tun, als sei sie auf dem Weg zur Toilette.
    Doch auch diesmal blieb alles still. Sie schrieb weiter: »Ich möchte Dich nicht drängen, geliebter Schatz, aber ich glaube, ich halte das nicht mehr länger aus. Ich kann keine Nacht mehr schlafen, ich bin fix und fertig.« Sie überlegte einen Augenblick, dann nahm sie den ganzen Mut zusammen und schrieb: »Deshalb, geliebter Schatz, ist die Zeit für eine Entscheidung gekommen.« Wieder zögerte sie, holte tief Luft und lehnte sich zurück. Sie schloss die Augen und kämpfte innerlich mit sich, ob sie’s tun sollte. Dann nahm sie alle Kraft zusammen, die ihr nach den Wochen der Ungewissheit, der schlaflosen Nächte und des Bangens noch geblieben war, und tippte in die Tasten: »Entweder sie oder ich.« Als sie es geschrieben hatte, war ihr irgendwie wohler, obwohl sie zu frösteln begann. Obwohl sie wusste, dass sie damit eine Entscheidung herbeiführen würde, die gegen sie ausgehen konnte.
    Sie führte den Mauszeiger zu dem Feld »Senden« – und zögerte erneut. Sollte sie es tun? Jetzt? Eine kleine Bewegung des rechten Zeigefingers würde genügen, um den Brief augenblicklich dorthin gelangen zu lassen, wo ihn ihr Geliebter irgendwann in den nächsten Stunden lesen würde. Plötzlich spürte sie wieder das Wechselbad der Gefühle. Sie dachte an die heimlichen Stunden, die sie sich beide abgerungen hatten, an
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher