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Mordloch

Mordloch

Titel: Mordloch
Autoren: M Bomm
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Sommersonntagen der Fall ist, strömen die Freunde alter Bahntechnik von weither nach Amstetten. Hier, auf der Hochfläche der Schwäbischen Alb, am Ende der Geislinger Steige, die als die erste Gebirgsüberquerung einer Eisenbahn überhaupt gilt, 1850 gebaut, zweigt eine Nebenstrecke ab, die nur dank eines Vereins alle Stilllegungspläne überdauert hat. Florian Metzger, ein schlaksiger junger Mann, der in einer Schaffneruniform steckte, war einer dieser Hobbyeisenbahner, die mit viel ehrenamtlichem Engagement und unzähligen Arbeitsstunden diese Touristenattraktion geschaffen haben.
    Er war mit dem Andrang an diesem Julisonntag zufrieden. Das Wetter hatte sich gebessert, sodass bereits der Vormittagszug die Kasse des Vereins auffrischen würde. Metzger lächelte deshalb zu den beiden Lokführern hinauf, die mit ihren schwarzen Arbeitskitteln und den rußigen Gesichtern auf das Abfahrtssignal warteten. Noch aber drängten sich die Fahrgäste, darunter sehr viele Kinder, vor den blauen Waggons aus den 20er-Jahren. Nicht alle würden auf den nostalgischen Holzsitzen einen Platz bekommen, befürchtete Metzger und stellte sich bereits auf viele Beschwerden ein. Nebenan auf dem Hauptgleis rauschte unterdessen ein moderner ICE-Zug vorbei.
    Die Männer des Eisenbahnvereins waren an diesem Sonntag bereits mehrere Stunden auf den Beinen. Denn, bevor die Fahrt losgehen konnte, musste die E 75 11 18 angeheizt werden. Das war ein hartes Stück Arbeit. Zehn Kubikmeter Wasser brauchten ihre Zeit, bis sie sich in Dampf verwandelten. Jetzt endlich, um 11 Uhr, hob Florian Metzger seine Schaffnertafel und ließ einen schrillen Pfiff ertönen.
    Cheflokführer Anton Kruschke, ein gestand’nes Mannsbild, wie man auf der Alb zu sagen pflegte, legte einen Hebel um und entfesselte die Urkräfte des dampfenden Ungetüms, das augenblicklich mit einem wilden Fauchen eine erlösende Qualmschwade in den Himmel schießen ließ. Weitere folgten – in immer kürzeren Intervallen. Die Treibstangen, die die rotspeichigen Räder miteinander verbanden, um die Antriebskräfte gleichmäßig zu verteilen, setzten sich langsam in Bewegung. Denn nur mühsam begannen sich die Räder zu drehen. Der Zug ruckelte, als die Kupplungen der Waggons ineinander griffen. Sekunden später waren Bahnsteig und Zug in eine Mischung aus schneeweißem Wasserdampf und rußgeschwängerter Luft getaucht. Die unerfahrenen Videofilmer würden keine große Freude daran haben, wenn sich der ölige Schmutz in die wertvolle Elektronik ihrer Geräte verirrte.
    Die Maschine gebärdete sich immer wilder, obwohl der Zug gerade mal mit Schritttempo den Bahnhofsbereich verließ. Kruschke drehte an einer großen eisernen Vorrichtung, die zwischen all den mechanisch wirkenden Anzeigeinstrumenten wie ein schräg gestelltes Lenkrad aussah. Die Feuerklappe in der Mitte des Führerstandes war geschlossen, doch ließ sich an ihren undichten Rändern das gelborange Höllenfeuer erahnen, das eine enorme Hitze verbreitete und jede Menge Wasser in den Druck erzeugenden Dampf verwandelte. Kruschke lehnte sich mit seinem ganzen fülligen Oberkörper durch das rechte Fenster, um die Wegstrecke vor dem Tender des schwarzen Monsters überblicken zu können, das immer größere Mengen Qualm und Ruß um sich spuckte. Der zweite Mann hatte auf der linken Seite den Beobachtungsposten bezogen. Gemächlich rumpelte die Lok über Weichen, mit denen der Zug zur links abzweigenden Nebenbahnstrecke gelangte.
    Der Verkehr auf der Amstetter Ortsdurchfahrt der Bundesstraße 10 stand still, die roten Lichter am Bahnübergang blinkten. Als Kruschke dies zufrieden feststellte, drehte er wieder an seinem Rad und warf einen prüfenden Blick auf den schwarzen Zeiger eines Instruments. Es verhieß genügend Dampfdruck und damit Antriebskraft.
    Die Lok fauchte aus Amstetten hinaus, wo das Gleis in den Wald eintauchte und in eine Steigung überging. 25 Promille waren’s, genau so viel, wie die Geislinger Steige aufwies. Auf einer Wegstrecke von 40 Metern wird dabei jeweils ein Höhenmeter überwunden. Und bis zur ersten Haltstation in Stubersheim musste immerhin ein Höhenunterschied von hundert Metern bewältigt werden. Angesichts solcher Steigungen gerieten Eisenbahnfreunde in helle Entzückung. Und wieder, das erkannte Kruschke während der Fahrt, hatten sich viele Hobbyfotografen und Hobbyfilmer entlang der Strecke postiert und ihre Kameras oder Videogeräte an den markantesten Punkten auf Stative geschraubt. Jedes
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