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Mordloch

Mordloch

Titel: Mordloch
Autoren: M Bomm
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verursachten. Und wie die Schuhabsätze des Toten auf dem sandigen Untergrund kratzten und scharrten. Für einen Moment hielt er wieder inne, lauschte und blickte angestrengt auf den breiten, nachtschwarzen Wanderweg, über den hinweg er jetzt die Leiche ziehen musste. Nur zwei- dreihundert Meter talabwärts befand sich die ›Obere Roggenmühle‹. Tagsüber war der Weg beliebt, insbesondere bei Kindern, die hier Ponys ausreiten durften. Jetzt aber, in dieser kühlen Sommernacht, so versuchte sich der Mann selbst zu beruhigen, würde niemand auf die Idee kommen, durch die Finsternis zu spazieren. Weiter also, die Leiche fest im Klammergriff. Hinein in das ausgetrocknete Bachbett, in dem jeder Schritt auf den Steinen knirschte und klickerte. Verdammt, er hatte nicht bedacht, wie sich die leblosen Füße des Toten durch dieses angeschwemmte Geröll wühlen würden. Wenn da irgendjemand in der Nähe war, musste dieses Knirschen und Zerren und jeder Tritt in den steinigen Untergrund verdächtig erscheinen. Er würde keine Chance haben, würde wie gelähmt da stehen mit dieser Leiche in den Armen. Alle paar Schritte verharrte er und lauschte angestrengt. Wieder ein Autogeräusch. Diesmal aus der Ferne, keine Gefahr. Es stammte von einem Pkw, der auf der gegenüberliegenden Hangseite die Steinenkircher Steige aufwärts fuhr. Dort oben, zwischen den Bäumen, waren die Scheinwerfer zu sehen, wie sie sich bergwärts kämpften. Übertönt wurde dieses sanfte Motorenbrummen von dem unablässigen Schrei des Nachtvogels. Ein Kauz vermutlich.
    Hinter dem Mann tat sich der pechschwarze Schlund der Höhle auf, in den das steinige Bachbett mündete. Noch ein paar Schritte und er hatte es geschafft. Schweiß rann ihm in die Augen, löste brennende Schmerzen aus. Sein Hemd klebte am Oberkörper, er keuchte und spürte, wie ihn die Kräfte verließen. Mit letzter Anstrengung zerrte er die Leiche in die Höhle, stieß mit dem Rücken gegen die Felswände, schlug den Kopf an die niedere Decke. Doch die Hektik verdrängte den Schmerz. Hier, im Schutze der stockfinstren Umgebung, war alle Vorsicht von ihm abgefallen. Wie ein Besessener zerrte er den Toten weiter, immer tiefer in den enger werdenden Gang hinein. Er wusste, dass die Höhle im Sommerhalbjahr gut und gerne zwanzig Meter weit begehbar sein würde, ehe sie in den Grundwasserspiegel tauchte. Bis dahin, so hatte er sich vorgenommen, würde er die Leiche schaffen, so weit, bis er nasse Füße kriegen würde und den Toten in das Wasser werfen konnte. Wieder hielt er inne. Der Nachtvogel schrie unablässig, irgendwo im Innern der Höhle tropfte Wasser. Das Geräusch hallte durch den felsigen Gang.
    Das Grundwasser hatte sich weit zurückgezogen. Er musste sich in der Finsternis konzentrieren, beim Rückwärtsgehen an der rauen Wand entlang orientieren und zwei enge Biegungen bewältigen, an denen er mehrfach Kopf, Schulter und Rücken anstieß, die Ellbogen lädierte, stolperte und einmal sogar unsanft auf den Hintern fiel, ohne jedoch den Toten aus dem Klammergriff loszulassen. Er rappelte sich wieder auf, zog und zerrte weiter, bis seine Schritte endlich in Wasser stapften. Augenblicke später waren seine Schuhe nass, dann die Füße bis zu den Knöcheln. Weiter, noch ein Stück weiter, entschied er. Erst als ihm das eiskalte Wasser bis zu den Schenkeln stand, ließ er den Toten los, drückte ihn mit den Füßen energisch hinab, was dumpfe gurgelnde Geräusche verursachte. Dann zwängte er sich in der Enge des Ganges an der Leiche vorbei, um zum Ausgang zurückzukehren. Ihn fror, es war kalt, die nasse Hose klebte an den Beinen. Er folgte den rauen Felswänden, bis er vor sich die Öffnung zu erkennen glaubte, die sich wie ein Torbogen auftat – hinaus in eine andere Welt, in der das harte Dunkel der Nacht sanfter erschien.
    Bei jedem Schritt versuchte er, das Klacken und Knirschen der losen Steine zu vermeiden. Er fühlte sich schlecht und zitterte, spürte die kalte Nässe an seiner Hose stärker denn je. Er hatte nur einen Wunsch: Weg hier, so schnell wie möglich weg. Alles vergessen, ungeschehen machen, zumindest so tun, als sei alles nur ein böser Albtraum gewesen. Bloß weg. Noch vielleicht 50 Meter durchs trockene Bachbett bis zum Auto, dessen Konturen sich schon abzeichneten. Doch dann war da wieder ein Motorengeräusch, ein verdammtes Fahrzeug, das sich talaufwärts zu nähern schien. Er verharrte, wagte nicht mehr zu atmen, lauschte – und starrte in die Finsternis,
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