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Morddeutung: Roman (German Edition)

Morddeutung: Roman (German Edition)

Titel: Morddeutung: Roman (German Edition)
Autoren: Jed Rubenfeld
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Hände nach. Er wollte nicht verschwinden. Und dann streifte er sie – wie zufällig.
    »Anscheinend hat der Coroner die Beherrschung verloren«, sagte ich, ohne weiter ins Detail zu gehen. »Da hat Nora geschrien.«
    »Und Hugel verfällt in Panik«, fiel Littlemore ein. »Er rennt durch die Hintertür raus. Banwells Krawattennadel hat er noch immer bei sich. Eigentlich wollte er sie in Noras Zimmer liegen lassen. Aber in seiner Hast hat er das vergessen. Also wirft er sie in den Garten und denkt sich, wir werden sie schon finden, wenn wir das Grundstück absuchen.«
    Nachdem der Coroner geflohen war, wusste Nora nicht, wie sie sich verhalten sollte. Der Coroner hätte sie betäuben sollen, aber er war weggelaufen, ohne ihr das Mittel zu geben. In ihrer Not tat Nora so, als könnte sie nicht sprechen und sich nicht daran erinnern, was passiert war. Ihr tatsächlicher Stimmverlust vor drei Jahren und die echte, wenn auch begrenzte Amnesie in der vorangegangenen Nacht hatten sie auf die Idee gebracht.
    »Warum hat Banwell den Schrankkoffer in den Fluss geschafft?«, wollte ich wissen.
    »Der Mann war in der Zwickmühle. Überlegen Sie selbst. Wenn er uns das ganze Zeug in der Wohnung hätte durchkämmen lassen, hätten wir Hinweise auf ihn gefunden und ihn wegen Mordes hochgehen lassen. Aber er konnte uns auch nicht einfach erzählen, dass Elizabeth Nora war. Selbst wenn wir ihm geglaubt hätten, hätte er einen Riesenskandal am Hals gehabt und wäre wahrscheinlich wegen Verführung Minderjähriger in den Knast gewandert. Also hat er dem Bürgermeister gesagt, er schickt Miss Riverfords Sachen zu ihrer Familie in Chicago. Er hat sie in dem Schrankkoffer verstaut und ihn runter in den Senkkasten gebracht. Der ideale Ort, hat er sich gedacht – bis er auf Malley gestoßen ist.«
    »Fast hätte er uns reingelegt«, sagte ich.
    »Mit Malley?«
    »Nein, als er … als er Nora mit der Zigarette verbrannt hat.« Bei dieser Vorstellung hatte ich auf einmal das Gefühl, den falschen Teil des Ehepaares Banwell ins Jenseits befördert zu haben.
    »Genau«, pflichtete mir Littlemore bei. »Wir sollten denken, dass Nora verrückt ist und dass sie sich alle Verletzungen selbst beigebracht hat. Er hat sich überlegt, wenn er das hinkriegt, dann kann ihm niemand was am Zeug flicken. Egal, was Nora gesagt hätte, niemand hätte ihr mehr ein Wort geglaubt.«
    »Und warum ist er gestern Nacht wieder hin? Um sie umzubringen?«
    »Nora hat Clara einen Brief geschickt. Sie hat ihr geschrieben, dass sie der Polizei alles erzählen wird, was Banwell mit Clara und den anderen Frauen, den Einwanderermädchen, gemacht hat. Anscheinend hat Banwell den Brief zu Gesicht bekommen.«
    »Ich frage mich, ob Clara nicht dafür gesorgt hat, dass er ihn sieht«, warf ich ein.
    »Gut möglich. Doch dann kreuzt auf einmal Hugel auf. Jedenfalls, Banwell ist in der Wohnung, als Hugel eintrifft, und allmählich fängt er an, zwei und zwei zusammenzuzählen. Am Abend sperrt er Clara in die Wäschekammer, damit sie ihm nicht dazwischenfunken kann, und fährt in die Stadt zu den Actons. Zufällig stolpere ich genau zu diesem Zeitpunkt über den Geheimgang im Balmoral. Mann, diese Clara hat mir vielleicht eine Komödie vorgespielt. Sie hat mir erzählt, dass ihr Mann Nora umbringen will, aber sie hat so getan, als müsste ich ihr alles aus der Nase ziehen. Wahrscheinlich hat sie da noch nicht gewusst, dass Nora gar nicht zu Hause war. Wie hat sie erfahren, dass Nora im Hotel war?«
    »Nora hat sie angerufen«, erwiderte ich. Dann fiel mir etwas ein. »Und was ist mit dem Chinesen?«
    »Leon? Den werden wir nie finden. Ich habe mich heute lange mit Mr. Chong unterhalten. Anscheinend ist sein Cousin Leon vor einem Monat bei ihm gewesen und hat ihm erzählt, dass sie von irgend so einem reichen Kerl Geld kriegen, wenn sie ihm einen Schrankkoffer abnehmen. In der Nacht sind die beiden dann ins Balmoral und haben den Schrankkoffer mit einer Droschke zu Leons Apartment gebracht. Am nächsten Tag packt Leon. Chong fragt ihn, wo er hinwill. Nach Washington, sagt Leon, und dann zurück nach China. Chong wird nervös. Was ist in dem Schrankkoffer, fragt er. Schau selbst nach, meint Leon. Also macht Chong den Deckel auf und sieht eine von Leons Freundinnen, tot. Chong regt sich auf: Die Polizei wird denken, dass Leon sie umgebracht hat. Leon lacht nur. Genau das soll die Polizei ja denken. Außerdem sagt Leon zu Chong, dass er am nächsten Tag im Balmoral aufkreuzen soll,
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